Nachbericht 61. Forum Politik und Wirtschaft

Für das 61. Forum Politik und Wirtschaft konnte Gastgeber und Moderator Senator a. D. Reinhard Ueberhorst Dr. Lambert Schneider als Referenten gewinnen. Er hielt einen Vortrag mit dem Titel "Internationale Klimapolitik und UN-Klimaverhandlungen - Basiswissen, aktuelle Themen und wichtige Entwicklungen" und diskutierte anschließend mit den Teilnehmenden.

 

Reinhard Ueberhorst


Bericht über das 61. Forum Politik und Wirtschaft zum Thema: Internationale Klimapolitik und UN-Klimaverhandlungen – Basiswissen, aktuelle Themen und wichtige Entwicklungen


Mit einem hohen informativen Nutzwert dürfen Teilnehmende bei unseren Foren Politik und Wirtschaft immer rechnen. Den Nutzwert gewinnen freilich nur diejenigen, die ihre Informationsbedürfnisse nicht nur in persönlichen Fachgebieten verfolgen und im Übrigen auf private Interessen begrenzt sind. Mit unseren Forumsthemen geht es im Themenraum „Politik und Wirtschaft“ immer darum, aufgabenorientiert Wissen aus verschiedenen Disziplinen zusammenzuführen und zugleich zu erkennen, wo die erkannten Herausforderungen auf politische Entscheidungsaufgaben zulaufen. Aufgerufen war diesmal das Feld der Internationalen Klimapolitik.


Bestimmt öfter als zehnmal ging es in den 60 vorhergehenden Foren Politik und Wirtschaft schon um Klimapolitik. Die Gefahren des Klimawandels waren wohl die Herausforderung, die auf unseren Foren am häufigsten adressiert wurde. Aus guten Gründen. Erstmals sollte es nun auf dem 61. Forum um die Internationale Klimapolitik gehen. Als Planer dieser Veranstaltungsreihe habe ich selbstkritisch festgestellt: Wir haben hier einen Nachholbedarf, dem weitere Foren in diesem Themenfeld gerecht werden sollen.
Für unsere Auftaktveranstaltung zur Internationalen Klimapolitik hatten wir einen vorzüglichen Referenten gewonnen. Vorzüglich aus mehreren Gründen, die alle mit seinem Wissen und seinem Umgang mit Nichtwissen zusammenhängen. Wissen vermittelte Dr. Schneider zum einen mit seinen fachlichen Kompetenzen und zum anderen mit Erfahrungen in der praktischen internationalen Klimapolitik, an denen Wissenschaftler:innen (für viele von uns überraschend) sehr stark als Verhandler:innen beteiligt sind. Dr. Lambert Schneider ist seit 2019 Forschungskoordinator des Öko-Instituts für Internationale Klimapolitik. Seit mehr als 20 Jahren beschäftigt er sich wissenschaftlich mit Kohlenstoffmärkten. Seine Dissertation schrieb er zur Umweltintegrität internationaler Kohlenstoffmärkte. Und als Verhandler war Dr. Schneider an internationalen Klimaverhandlungen gemäß Artikel 6 des Pariser Klimaabkommens regelmäßig beteiligt.
Mit seinem Vortrag konnte der Referent damit wie erwünscht Basiswissen zur klimapolitischen Herausforderung und zur Beschreibung des internationalen Klimaregimes vermitteln, also der Regelwerke, die die Staatengemeinschaft seit 1992 in einer Reihe von Konferenzen und Konventionen erarbeitet hat. Wichtige Stationen u.a.:  das Kyoto-Protokoll (1997) mit Zielen für Industriestaaten für die Jahre 2008 – 2012 und das Übereinkommen von Paris (2015), welches Klimabeiträge von allen Ländern verlangt, freiwillige Beiträge, deren Nichterbringung nicht zu Sanktionen führt. 


Unser Referent sprach einerseits als Wissenschaftler und Forscher, andererseits als erfahrener Verhandler, nicht aber als Politikwissenschaftler oder politischer Akteur mit persönlichen politischen Meinungen. Es fiel auf und wurde angesprochen, dass Parteien und parteipolitische Akteure im Gegensatz zu NGO-Vertreterinnen keinen großen Einfluss auf die Diskussionen und Verhandlungen der Staaten zu nehmen scheinen. Das führte zu produktiven Irritationen. Sprich. Regte zu Fragen an, die mit anderen zu besprechen wären. Zum Beispiel politischen Parteien. Wie sehen sie ihre Rolle jenseits der nationalen, auf nationale Klimaneutralität zielenden Klimapolitik?


Der Referent hatte viele informative Folien mitgebracht. Weit mehr, als er zeigen und erklären konnte. Dankenswerterweise stellte er uns nach der Veranstaltung alle Folien zur Verfügung. Ein Link zu ihnen steht am Ende dieses Berichts. Der Nutzwert seines informativen Vortrags stand außer Frage und wurde in Einlassungen der Zuhörenden immer wieder positiv gewürdigt. Mit einer Ausnahme eines Teilnehmers, der den in der Klimawissenschaft erkannten drohenden Klimawandel und seine Ursachen in Verbindung mit der Entwicklung der Industriegesellschaften und ihrer Emissionen nicht anerkennen wollte. 


Das Auditorium ließ sich dazu nicht zu einer Kontroverse bewegen. Stattdessen wurden andere Fragen aufgeworfen, die über das etablierte internationale Klimaregime hinausgingen und dazu anregen, sie in die Planung weiterer Foren zur Internationalen Klimapolitik einzubeziehen. Es war höchst angenehm zu erfahren, wie der Referent („Ich bin kein Politikwissenschaftler“) sich zurückhielt, wenn Fragen aufgeworfen wurden, deren Bedeutung er nicht bestreiten, die er aber auch nicht beantworten wollte, schon gar nicht mit einem wissenschaftlichen Geltungsanspruch und auch nicht mit einer politischen Meinung. Die wichtigste derartige Frage war die nach einem richtigen Mix aus Klimaaußenpolitik und dem nationalen Streben nach nationaler Klimaneutralität.
Aus der philosophischen Literatur kennen wir diese Frage durch die langjährigen Arbeiten des Philosophen und Wirtschaftsethikers Bernward Gesang1. Gesangs Grundgedanke: Nicht nur die eigene Bilanz im eigenen Land (also das, was wir tun, um unsere Klimaneutralität national zu erreichen) ist wichtig, sondern auch der absolute Beitrag zur Minderung der Emissionen weltweit. Was ist da der richtige Mix? Das war die Leitfrage in der Planung dieses Forums gewesen, die am besten durch die Diskussion wahrnehmbar werden sollte. 


Wenn dies gelingt (und es gelang) erfahren wir die ganz spezifische Produktivität unserer Foren. Sie ist dem spezifischen Synergiepotential der Beteiligten geschuldet. Das entfaltet sich, so es sich entfaltet, mit dem, was nach dem Vortrag passiert, was durch Teilnehmende erwogen oder erfragt wird, wie der Referent darauf reagiert, welche weiteren Beiträge das auslöst und was mit dem Prozess nach dem Vortrag erkennbar wird. Das waren diesmal aus meiner Sicht bemerkenswerte Impulse und Anregungen. 


Als kurzes Fazit


Immer wieder entdecken wir mit der Diskussion auf unseren Foren Fragen, auf die niemand ad hoc eine breit akzeptierte Antwort geben kann, alle aber spüren, dass eine solche erarbeitet werden sollte. Geht es doch um eine erkennbar gewordene bedeutsame Handlungsstrategie, die als ungeklärt erkannt wird. 


Dieses Forum vermittelte: Wir haben sehr gute Gründe, uns intensiver mit der Internationalen Klimapolitik und dem richtigen Mix nationaler und transnational angelegter Handlungsstrategien zu beschäftigen und dabei stärker als bisher über eine national anzustrebende Klimaneutralität hinaus zu denken. In dieser Sicht sind nicht wenige ungeklärte Handlungsfelder und Verständigungsaufgaben zu entdecken. Es ist keine gewagte Prognose, dass die derzeit scheinbar durch nationale Themen dominierte Klimapolitik in der nächsten Zeit mehr und mehr durch Kontroversen zur Klimapolitik jenseits nationaler Programme geprägt sein wird. 


Die in diesem Befund liegende Aufgabenwahrnehmung wird noch nicht weithin geteilt. Aber es mehren sich Stimmen und Initiativen in diesem Sinne. Zu ihnen gehört auch der jüngste Vorschlag der deutschen Außenministerin, eine globale Ausbauquote umweltfreundlicher Energiequellen anzustreben. Der Vorschlag soll eine Debatte darüber befördern, ob bei der nächsten UN-Klimakonferenz in Dubai im kommenden Herbst eine Zielmarke für die Stromgewinnung aus erneuerbaren Energiequellen vereinbart werden könne. Begründet wird der Vorschlag mit dem Wissen, „dass wir nicht genug tun, um die Klimakrise in den Griff zu bekommen“ (Baerbock). 


Auch der UN-Generalsekretär António Guterres forderte in diesen Tagen einen „weltweiten Quantensprung bei den Klimamaßnahmen“. Damit geht es um eine signifikante Erhöhung der Klimahilfen für ärmere Länder. Womit wir rechnen müssen, wenn der Transfer der Klimafinanzierung von einkommensstarken zu einkommensschwachen Ländern unzulänglich bleibt, können wir in dem Szenario Too Little Too Late im neuen Bericht an den CLUB OF ROME nachlesen². Die weltweiten Folgen sind desaströs. 
Mit Dr. Schneider war nach Dr. Matthes zum zweiten Mal in diesen Jahren ein „Forschungskoordinator“ des Öko-Instituts als Referent zu einem Forum Politik und Wirtschaft gekommen.  


Der Forschungskoordinator für Energie- und Klimapolitik Dr. Matthes argumentierte auf dem 53. Forum im Mai 2021 für "neue Diskursformate auf der politischen/analytischen Ebene". Wer seine Argumentation damals gehört hat oder heute nachvollzieht³, kann sie durch die losen Enden und nicht adressierten Verständigungsaufgaben der Internationalen Klimapolitik bestätigt sehen. Wir haben in der Klimapolitik seit 2021 immer wieder erlebt, 

  • zu welchen Themen eine längerfristige breit getragene Orientierung hilfreich, wenn nicht aus ethischen und/oder praktischen Gründen geboten erschien,
  • diese breit getragene Orientierung aber weder vorlag, noch erkennbar war, wo erfolgversprechend an ihr gearbeitet wurde.
Wenn unser kleines Forum mithelfen kann, solche Defizite zu identifizieren und sie uns in ihrer Bedeutung bewusst zu machen, dann wissen wir, warum es als kleine produktive Veranstaltungsform seinen Platz in dem im Übrigen entwicklungsfähigen Programm eines aufgabenorientierten Studium generale gefunden hat.

Studierende und Alumni der NORDAKADEMIE haben die Möglichkeit, die hier angesprochenen Themen im Seminar Politik und Wirtschaft -- Basiswissen und -kompetenzen für Querdenker:innen zu reflektieren und zu diskutieren.

1 Zuletzt kurz und prägnant sein Essay Klimaschutz neu geträumt Was der Staat und der Einzelne tun können, um effizient zu sein, https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/traeume-2023/519802/klimaschutz-neu-getraeumt/

 

2 Sandrine Dixson-Decléve et al., Earth for All, Der neue Bericht an den Club of Rome, 50 Jahre nach >> Die Grenzen des Wachstums>>, München 2022, S. 54-66

 

3 https://www.nordakademie.de/news-media/news/neue-politikans%C3%A4tze-f%C3%BCr-neue-energiewende