Beim Übergang von der Entwicklung zur Anwendung kommt es immer wieder zu dem, was man gemeinhin Reibungsverluste nennt. Die Bezeichnung dieser Phase als Inbetriebnahme impliziert, dass dabei vor allem technische Herausforderungen zu meistern sind. Tatsächlich sind soziale und psychologische Schwierigkeiten aber oft viel folgenreicher. Der vorliegende Beitrag zeigt, welchen Beitrag das Cardboard Engineering leisten kann, Reibungsverluste zu reduzieren. Die konvertierenden Objekte (Mockups), die dabei entstehen, unterstützen die Transformation von explizitem Expertenwissen in implizites Anwenderwissen (Können) vice versa. Warum das so gut funktioniert, erklärt die Akteur-Netzwerk-Theorie. Schließlich lässt sich auf der Grundlage des Systems Engineerings zeigen, wann und wie das Cardboard Engineering in die Entwicklung eingebunden wird.
Vertreter eines renommierten Logistikdienstleisters, dessen Name nicht genannt werden soll, berichteten kürzlich, dass eine Sprachsteuerung zur Unterstützung der Retourenabwicklung nach ihrer Einführung wieder außer Betrieb genommen werden musste, weil sie von den Beschäftigten nicht angenommen wurde. Probleme wie dieses sind keine Einzelfälle. Im Gegenteil! In ihrem turnusmäßig herausgegebenen Chaos Report stellt die Standish Group (2018) fest, dass etwa 20 % aller informationstechnischen Projekte abgebrochen werden, während alle anderen Projekte dieser Art zwar ihren Abschluss finden, dies jedoch zumeist unter Aufgabe ursprünglicher Ziele.
Oft kommt es dann zu Vorwürfen in alle Richtungen. Tatsächlich liegen die Ursachen aber tiefer, denn beim Übergang von der Entwicklung zur Anwendung stoßen Welten aufeinander, die unterschiedlicher kaum sein können. Da die Unterschiede aber weder in der Theorie noch in der Praxis klar genug benannt werden, lassen sich mögliche Schnittstellen nur schwer erkennen. Das fördert affektives Verhalten und behindert rationales Handeln. Daher sollen die an anderer Stelle ausführlich dargelegten Unterschiede zwischen Entwicklung und Anwendung (vgl. Ahrens 2017) hier zunächst noch einmal zusammenfassend erläutert werden (siehe Abschn. 2), um deutlich zu machen, welchen Beitrag das Cardboard Engineering leisten kann, die Effizienz und Effektivität der Inbetriebnahme zu steigern.
Ein wesentliches Problem beim Übergang von der Entwicklung zur Anwendung ist, dass dabei explizites Expertenwissen auf implizites Anwenderwissen (Können) stößt (vgl. Nonaka/ Takeuchi 1997, S. 74 ff.). Explizites Wissen lässt sich formal beschreiben: man kann es sprachlich ausdrücken, technisch zeichnen oder in Formeln darstellen. Für implizites Wissen gilt dies nur sehr eingeschränkt: man versuche einmal, jemandem durch bloßes Erklären Klavierspielen beizubringen. Ein Star-Pianist wird daraus ganz sicher nicht. Daher bedarf es zwischen explizitem und implizitem Wissen einer Konvertierung (siehe Abschn. 3).
Die Konvertierung lässt sich unter anderem durch Einsatz konvertierender Objekte unterstützen (vgl. Conceição et al. 2012, S. 127 ff.)2. Im Klavierunterricht ist dies das Klavier; im industriellen Kontext kann dies zum Beispiel ein Mockup sein. Im Zuge der Arbeitssystemgestaltung wird zum Bau solcher Mockups das Cardboard Engineering eingesetzt (vgl. z.B. Schuh et al. 2010, S. 659 ff.). Daher soll die intermediäre Konfiguration der Konvertierung von Wissen in Können vice versa anhand dieser Technik erläutert werden. Warum das möglich und sinnvoll ist, wird auf der Grundlage der Akteur-Netzwerk-Theorie (vgl. Latour 2005) erklärt (siehe Abschn. 4).
Der letzte Abschnitt 5 widmet sich der Einbindung der Konvertierung von explizitem Wissen in Können vice versa in den gesamten Entwicklungszyklus. Dazu knüpft er an die Unterscheidung in Aufgaben und Probleme in Abschnitt 2 an und bringt das Systems Engineering (vgl. Haberfellner et al. 1976/2015) ins Spiel, das sich als allgemeingültige (generische) Grundlage für technisch-organisatorische Problemlösungen bewährt. Damit werden dann die Fragen beantwortet sein, wann, wie und warum das Cardboard Engineering zur Effizienz und Effektivität der Arbeitssystemgestaltung einen wesentlichen Beitrag leistet.
Die Unterschiede zwischen Entwicklung und Anwendung lassen sich aus der Unterscheidung zwischen Problem und Aufgabe herleiten (vgl. Funke 2003, S. 18). Ausgangspunkt zielgerichteten Handelns ist in der Regel die Wahrnehmung einer Barriere (Differenz) zwischen dem aktuell wahrgenommenen (Ist) und einem angestrebten Zustand (Soll). Wenn bekannt ist, wie die Barriere überwunden werden kann, und wenn dazu alle erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen, spricht man von einer Aufgabe, beim Fehlen mindestens einer dieser Voraussetzungen von einem Problem. Im industriellen Kontext werden wiederkehrende Aufgaben wie zum Beispiel die Genehmigung von Urlaubsanträgen oder das Montieren von Getrieben routinemäßig abgewickelt. Damit sind diejenigen beschäftigt, die hier als Anwender bezeichnet werden. Probleme werden im industriellen Kontext dagegen in Bereichen wie der Entwicklung gelöst. Die wesentlichen Unterschiede der jeweiligen Arbeitsweisen werden nachfolgend spiegelstrichartig zusammengefasst. Eine ausführliche Darstellung findet sich bei Ahrens (2017).
Wenn nun die Entwicklung auf die Anwendung trifft, wird sie Regelkreise vorfinden. Je besser diese funktionieren, desto stärker werden sie jedoch Veränderungen zu absorbieren versuchen: dafür sind sie geschaffen. Doch genau das steht den Anliegen der Entwicklung entgegen, denn die zielen auf Veränderungen. In rein technischen Systemen wäre das kein Problem; man würde die alte Technik schlicht abschalten und durch eine neue ersetzen. In soziotechnischen Systemen ist das jedoch nicht so einfach möglich. Soziale Systeme konstituieren sich als Sinnzusammenhänge (vgl. Luhmann 1984/1996, S. 92 ff.), und wenn eine Abteilung in einem produzierenden Unternehmen ihren Sinn darin gefunden hat, die ihr übertragenen Routinetätigkeiten fehlerfrei, also ohne Abweichungen vom vorgegebenen Standard (Führungsgröße w), auszuführen, wird sie das nicht ohne Weiteres aufgeben. Simon (2007/2015, S. 28) begründet dies damit, dass der Sinn des Lebens, auch der einer Organisation oder einer Organisationseinheit (Abteilung), darin besteht zu leben. Dieses Leben wird durch Angriffe auf den konstituierenden Sinnzusammenhang bedroht, und dagegen wissen sich soziale Systeme zu wehren – oft selbst unter den Bedingungen hierarchisch strukturierter Macht mit großem Erfolg.
Die Erfolgswahrscheinlichkeit des Übergangs von der Entwicklung zur Anwendung lässt sich durch Interpenetration steigern (vgl. Willke 1994/2005), also durch eine wechselseitige Durchdringung von Systemen, die zwar jeweils eigenen, miteinander unvereinbaren Logiken folgen, zugleich aber nicht ohne einander existieren können. Abbildung 1 zeigt dazu in Bezug auf die Entwicklung und den Betrieb von Arbeitssystemen verschiedene Möglichkeiten: Auf der Basis hierarchisch strukturierter Macht zwar naheliegend, praktisch jedoch nur sehr begrenzt wirksam ist die Anweisung an Untergebene, das Entwickelte anzuwenden. Daran schließen sich Formen der Interaktion an, die mit ansteigendem Niveau mehr und mehr Interaktion zwischen Entwicklung und Anwendung vorsehen.
Die Beteiligung überträgt den Marktmechanismus, der jenseits von Unternehmensgrenzen Kaufentscheidungen von Kunden lenkt, in Unternehmen hinein, in denen Entscheidungen
grundsätzlich nach planwirtschaftlichen Erwägungen getroffen auf der Grundlage von Macht durchgesetzt werden (vgl. Coase 1937, S. 386 ff.). Auf dem Markt, also zum Beispiel in einem Kaufhaus, hat der Kunde die Wahl zwischen verschiedenen Produkten, die dem gleichen Zweck dienen, dazu jedoch unterschiedliche Funktionen anbieten. Eine Konfiguration der Produkte ist zu diesem Zeitpunkt allerdings in der Regel nicht mehr möglich. Innerhalb von Unternehmen lässt sich diese Art der Beteiligung von Kunden an (Kauf-) Entscheidungen dadurch imitieren, dass die üblichen Systematiken zur Gestaltung von Produkten die Entwicklung von Varianten vorsehen (vgl. Haberfellner et al. 1976/2015, S. 59 ff.). Auch an der Auswahl einer Variante aus einer Mehrzahl ebenfalls möglicher Varianten können diejenigen, die diese später anwenden sollen, als Quasi-Kunden3 beteiligt werden. Auch dabei geht es nicht darum, dass die Anwender unmittelbaren Einfluss auf die Konfiguration der Varianten nehmen, und doch kann diese Art der Berücksichtigung von (Quasi-) Kundenwünschen, wie der Markt außerhalb von Unternehmen zeigt, zur Entwicklung anwendungsfreundlicher (absatzfähiger) Produkte maßgeblich beitragen, weil die Entwickler motiviert werden, Anforderungen der Kunden in ihre Überlegungen einzubeziehen (vgl. Ebert 2019).
Die Partizipation (vgl. Dombrowski et al. 2011, S. 1 ff.; Kensing/Blomberg 1998, S. 167 ff.; Summers/Hyman 2005) geht darüber noch hinaus, indem sie den Anwendern (Kunden) auch
eine Einflussnahme auf die Konfiguration von Produkten erlaubt. Welche Herausforderungen es dabei zu bewältigen gilt und wie diese gemeistert werden können, wird im weiteren Verlauf ausführlich dargelegt.
Mit der Einsicht, dass die Anwendung von Entwicklungsergebnissen durch Partizipation (Interpenetration) wahrscheinlicher wird als durch weniger ausgeprägte Interaktionen zwischen den in ihrer jeweiligen Logik so grundverschiedenen Welten, ist allerdings noch nicht viel gewonnen, denn während in der Entwicklung Experten tätig sind, die in ihren jeweiligen Domänen über explizites Wissen verfügen, findet sich bei den Anwendern überwiegend implizites Wissen (vgl. Nonaka/Takeuchi 1997, S. 74 ff.). So kann ein Monteur zum Beispiel sehr geschickt Getriebe montieren, und dabei nutzt er mühelos die nach arbeitswissenschaftlichen Kriterien optimierte Arbeitsumgebung, doch üblicherweise wird er nicht erklären können, wie genau und warum ihm seine Arbeit so leicht von der Hand geht. Umgekehrt wird der Arbeitswissenschaftler sehr genau und unter Angabe einschlägiger Quellen erklären können,
warum das Arbeitssystem genau so und nicht anders gestaltet ist, ohne selbst die Arbeiten darin so geschickt erledigen zu können wie der Monteur.
Abbildung 2 zeigt dazu das verbreitete SECI-Modell des betrieblichen Wissensmanagements von Nonaka und Takeuchi (1997). Danach entsteht implizites Wissen (Können) durch Sozialisation aus bereits vorhandenem implizitem Wissen. Konkret erfolgt dies durch das Anlernen eines neuen Mitarbeiters, beispielsweise durch das Vormachen durch einen bereits eingearbeiteten Mitarbeiter und das Nachmachen durch den neuen Mitarbeiter, oder durch einen Erfahrungsaustausch zwischen unterschiedlich erfahrenen Mitarbeitern. Die Vermittlung des Wissens erfolgt vor allem durch Beobachtung, Nachahmung und Praxis (vgl. ebd., S. 75). Daraus entsteht Erfahrung, die im Bereich der Anwendung verortet ist.
Befragungen, Beteiligungen und vor allem die Partizipation sind Möglichkeiten, im Zuge der Externalisierung implizites Anwendungswissen in explizites Expertenwissen zu konvertieren. Dabei nimmt „das implizite Wissen die Form von Metaphern, Analogien, Modellen oder Hypothesen an“ (ebd., S. 77). Wissenschaftstheoretisch ließe sich dies als Induktion einstufen, also als Versuch, aus beobachteten Phänomenen auf allgemeingültige Gesetzmäßigkeiten zu schließen. Der nachfolgende Abschnitt knüpft daran an und erläutert, wie diese Konvertierung konkret gestaltet werden kann.
Das aus der Externalisierung gewonnene explizite Wissen wird nachfolgend innerhalb der Entwicklung von den dort tätigen Experten und gegebenenfalls unter Beteiligung der Wissenschaft mit bereits vorhandenem explizitem Wissen kombiniert. In der Wissenschaft wird dabei oft abduktiv gearbeitet4, indem Versuche unternommen werden, die aus der Induktion gewonnenen Erkenntnisse in eine bereits bekannte oder noch zu entwickelnde Gesetzmäßigkeit zu integrieren.
Durch Anwendung der daraus hervorgehenden Innovationen in der betrieblichen Routinearbeit wird dieses Expertenwissen im Zuge der Internalisierung wieder in implizites Wissen konvertiert. In der Wissenschaft kommt in dieser Phase vor allem die Deduktion zum Einsatz, also die Anwendung allgemeingültiger Gesetzmäßigkeiten auf konkrete Einzelfälle. Damit beginnt die Wissensspirale auf einem höheren Wissensniveau (vgl. ebd., S. 84) mit einem neuen Durchlauf.
Nachfolgend soll nun vor allem die Externalisierung (Abbildung 2) eingehender betrachtet werden. Dazu werden Erkenntnisse herangezogen, die mit Hilfe der Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) gewonnen wurden (vgl. Latour 2005). Anders als andere sozialwissenschaftliche Theorien bezieht sie soziale Interaktion nicht nur auf menschliche Kommunikation, sondern auch auf Kommunikation, die von Materie (natürliche und technische (künstliche) Objekte) ausgeht. Zur Vermeidung komplizierter theoretischer Erläuterungen sei dies an einem Gedankenexperiment verdeutlicht: Dabei wird in der Mitte einer Sporthalle, also gut sichtbar, ein Ball (Quasi-Objekt, vgl. Latour 2005, S. 238) platziert. Anschließend werden Schüler der Reihe nach aufgefordert, sich nach dem Umziehen in die Halle zu begeben und dort sofort auf der Bank Platz zu nehmen6. Es ist leicht vorstellbar, dass so gut wie kein Schüler dieser Anweisung uneingeschränkt folgen wird. Tatsächlich wird nahezu jeder Schüler zunächst gegen den Ball treten.
Vergleichbare Experimente belegen, dass auch von Materie eine Kommunikation ausgeht, die sich mit zwischenmenschlicher Kommunikation verbindet. Im skizzierten Beispiel geht von dem Ball insbesondere in der Umgebung einer Sporthalle (in einem Porzellangeschäft würde das Experiment hoffentlich anders verlaufen) eine Aufforderung (Affordanz, vgl. Gibson 1966/1983) aus, die bei den meisten Schülern eine stärkere Wirkung entfaltet als die Aufforderung des Sportlehrers, auf der Bank Platz zu nehmen, obwohl bei einer Missachtung der Anweisung des Lehrers eventuell sogar Sanktionen drohen.
Modifiziert man das Gedankenexperiment und verlegt Zeit und Ort des Geschehens auf die Pause einer wissenschaftlichen Konferenz, so kann eine achtlos weggeworfene Getränkedose einander fremde Konferenzteilnehmer, die sich eigentlich nur zum Luftholen vor der Tür des Tagungshotels versammelt haben, spontan zu zwei Fußballmannschaften formieren, während sich zwei Pfosten des Türgeländers als Torbegrenzungen anbieten. Selbst unscharfe Regeln wie die, wo die Grenze des Spielfelds verläuft, werden von allen Mitspielenden (mit Ausnahme der Getränkedose) schnell untereinander vereinbart und allseits verstanden.
Überlegungen wie diese machen deutlich, dass Materie in sozialen Systemen eine aktive Rolle einnimmt, obwohl sie sich nicht in der gleichen Weise äußern kann wie menschliche Akteure. Der ANT zufolge bewirkt Materie Transformationen (vgl. Latour 2005, S. 37 ff.): die Konferenzbesucher wurden kurzzeitig in Fußballmannschaften verwandelt, die zwei Pfosten des Türgeländers in ein Fußballtor. Regeln wurden vereinbart, das Wissen um diese Regeln ohne Weiteres an alle Beteiligten vermittelt.
Im arbeitswissenschaftlichen Kontext werden Objekte wie der Ball als intermediäre Objekte bezeichnet (vgl. z. B. Boujut/Blanco 2003, S. 205 ff.; Conceição et al. 2012, S. 127 ff.; Sachse 2002; Vinck et al. 2009, S. 297 ff.). Latour (2005, S. 37 ff.) weist allerdings darauf hin, dass den Objekten dadurch eine eher passive Rolle zugeschrieben wird. Tatsächlich würden die Objekte aber aktiv wirken, so dass sie eher eine Rolle wie die eines Mediators einnehmen. Doch auch Mediatoren beschränken sich darauf, die Einhaltung der Verfahrensregeln sicherzustellen (§ 2 MediationsG). Nur in dieser Hinsicht werden sie aktiv. Im Übrigen verhalten sie sich wie Katalysatoren, die weder inhaltlich eingreifen noch sich selbst infolge ihrer Vermittlertätigkeit verändern. Doch gerade auch das sieht die hier intendierte Rolle von Objekten vor: sie wirken auch inhaltlich auf die Kommunikation in sozialen Systemen ein und können sich im Zuge dessen auch selbst verändern.
Letzteres trägt der systemtheoretischen Einsicht Rechnung, dass Kommunikationsakte als Elemente sozialer Systeme sehr flüchtig sind und zur Aufrechterhaltung des Systems permanent neu erzeugt werden müssen (vgl. Luhmann 1984/1996, S. 28). Kommunikative Beiträge eines quasi statischen Objekts würden in einem sich fortwährend verändernden Kontext aber schnell langweilig, so dass ihre Wirkung bald nachlassen dürfte. Verändern sie sich dagegen auch selbst, so tragen auch sie zur Aufrechterhaltung der Kommunikation aktiv bei. Gerade im Fußballspiel ist der sich ständig ändernde Aufenthaltsort des Balls in Relation zum Spielfeld für den Fortgang des Spiels entscheidend. So kann man zum Beispiel kurz vor dem Abpfiff beobachten, dass eine bis dahin knapp unterlegene Mannschaft ein gesteigertes Interesse an einer möglichst langen Nachspielzeit hat, um eine letzte Chance zum Ausgleich zu wahren. Bei einer größeren Tordifferenz ist dieses Interesse deutlich geringer.
Ein Begriff, der nicht nur die aktive Mitwirkung von Materie in sozialen Systemen bezeichnet, sondern darüber hinaus auch deren inhaltliche Wirkung sowie die daraus resultierende
Veränderung ihrer selbst, hat sich bisher nicht etabliert. Daher sollen die Objekte im Folgenden vorläufig ersatzweise als konvertierende Objekte benannt werden. Das trägt der Einsicht
Rechnung, dass unterschiedliche Handlungssphären wie zum Beispiel die der Entwicklung und der Anwendung (siehe Abschn. 2) unterschiedliche semantische Codes verwenden beziehungsweise, vereinfachend ausgedrückt: unterschiedlichen Eigenlogiken folgen, so dass es im Zuge einer Interpenetration einer Übersetzungsleistung zwischen den Codes bedarf.
Ein Übersetzer kommt in der Regel nicht umhin, seinen Übersetzungen angesichts weitreichender Interpretationsspielräume etwas Eigenes hinzuzufügen und dadurch einen nicht nur aktiven, sondern auch einen inhaltlichen Beitrag zu leisten. Zudem wird er sich infolge möglicher Reaktionen auf seine eigenen Beiträge im Laufe der Zeit ändern müssen. Dafür sind Bibelübersetzungen ein Beispiel. In der neuen deutschen Lutherübersetzung der Heiligen Schrift, die seit Januar 2019 in Umlauf ist, wird das griechische Wort „Adelphoi“ nicht mehr nur mit seiner ursprünglichen Bedeutung, also mit Brüder“, übersetzt, sondern gendergerecht mit „Brüder und Schwestern“ (vgl. z.B. 1Kor 7,29). Vor diesem Hintergrund lässt sich begründen, dass der Begriff der konvertierenden Objekte alle Aspekte beinhaltet, die angesprochen sein sollen: (1) aktive Kommunikation, (2) inhaltliche Einflussnahme und (3) Veränderung ihrer selbst.
Diese Eigenschaften haben auch Mockups, die immer häufiger im Zuge der Arbeitssystemgestaltung entworfen werden. Das Cardboard Engineering (Gorecki/Pautsch 2012, S. 29 ff.; Hagen 2009, S. 10 ff.) sieht vor, solche maßstäblichen und oft zumindest teilweise auch funktionsfähigen Modelle vorrangig aus Wellpappe herzustellen (Abbildung 3). Ergänzend kommen Kantenschutzwinkel oder Rohre aus Pappe, Holzleisten, einfache Verbindungselemente wie Schrauben und Muttern usw. zum Einsatz. Bearbeitet wird das Material mit einfachen Werkzeugen wie Cuttermessern und Klebepistolen.
(1) Ebenso wie der Ball in der Sporthalle (wenn auch sicher nicht in der gleichen Intensität) stellen auch Material und Werkzeug in einer Werkstatt eine Aufforderung dar (vgl. Gibson 1966/1983), damit etwas herzustellen. Insoweit geht von den konvertierenden Objekten eine aktive Kommunikation aus.
(2) Der inhaltliche Beitrag zur Kommunikation besteht zunächst darin, dass die konvertierenden Objekte eine Übersetzung von Wissen in Können vice versa unterstützen. Experten können ihre Fachkenntnisse ebenso im Modell realisieren wie Anwender in der Lage sind, ihre praktischen Erfahrungen im Zuge des gemeinsamen Modellbaus handwerklich zum Ausdruck zu bringen. Diskussionen, an denen beide Seiten beteiligt sind, verharren ebenso wenig in abstrakten Denk- und Argumentationsmustern von Entwicklern wie in unspezifischen Hinweisen von Anwendern; die Beiträge beider Seiten manifestieren sich in dem gemeinsam hergestellten Mockup. Und auch unterschiedliche Herangehensweisen finden dabei zusammen: ein systematisches Vorgehen, eine Orientierung an Normen und Standards, eine Berücksichtigung gesicherter arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse, wie es von Seiten der Entwicklung zu erwarten ist, kollidiert nicht mit einem Trial-and-Error, das auf Seiten der Anwender vorherrschen dürfte. Im Gegenteil: letzteres kann die Kreativität fördern und zu innovativen Lösungen beitragen. Gerade das ist einer der wesentlichen Vorteile, den man sich von Partizipation verspricht.
(3) Das Mockup verändert sich im Laufe der Entwicklung fortwährend. Dabei verläuft der Arbeitsfortschritt nicht linear, sondern zyklisch (Weiteres dazu in Abschn. 5), ist also durch zahlreiche Rückschritte gekennzeichnet, wie sie vor allem für die Lösungssuche nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum kennzeichnend ist. Die handwerklich leichte und in Bezug auf das eingesetzte Material mit verschwindend geringen Kosten verbundene Veränderbarkeit des Modells unterstützt diese Vorgehensweise. Dadurch ist der Erkenntnisfortschritt für alle Beteiligten jederzeit im Sinne des Wortes sichtbar und fordert immer wieder neu dazu auf weiterzuarbeiten. Experten, Anwender und das Mockup stehen quasi in einem Dreiecksverhältniszueinander und befinden sich in einem fortwährenden Dialog, an dem das Mockup als konvertierendes Objekt durch seine auffordernde Wirkung, die es durch seine ständige Veränderung immer wieder erneuert, aktiv teilnimmt. Ohne das Mockup hätten Experten und Anwender erheblich größere Schwierigkeiten, sich zu verständigen, weil explizites Wissen, das unvermittelt auf implizites Wissen (Können) stößt, in weiten Teilen auf mangelndes Verstehen und auf mangelndes Verständnis stößt vice versa.
Abschließend soll geklärt werden, in welchen Phasen das Cardboard Engineering in die Entwicklung von Arbeitssystemen eingebunden werden kann. Dazu bietet das Systems Engineering eine allgemeingültige (generische) Grundlage (vgl. Haberfellner et al. 1976/2015; INCOSE 2015). Eines der Grundprinzipien sieht nach Haberfellner et al. (1976/2015, S. 56) das Vorgehen vom Groben zum Detail vor (Abbildung 4). Das in Abbildung 3 dargestellte Mockup lässt auf den ersten Blick erkennen, dass sich mit Hilfe des Cardboard Engineerings lediglich grobe Modelle herstellen lassen. Daraus lässt sich schließen, dass der Einsatz in frühen Planungsphasen erfolgt. In detaillierten Entwicklungsphasen eignen sich dagegen Methoden und Werkzeuge besser, die den dann geforderten Konkretisierungs- und Detaillierungsgrad abbilden können, also insbesondere computergestützte Methoden (vgl. z.B. Bullinger-Hoffman/Mühlstedt 2016).
Das Niveau der Beteiligung von Anwendern (siehe Abbildung 1) nimmt mit zunehmendem Detaillierungsgrad ab (Abbildung 5). Dies begründet sich zum einen daraus, dass der Bedarf an explizitem Expertenwissen mit fortschreitender Entwicklung zunimmt. Beispielsweise ist dann nicht mehr nur Gestaltungswissen erforderlich. Zusätzlich müssen auch komplexe Computerprogramme wie zum Beispiel CAD-Systeme beherrscht werden. Zum anderen nimmt die Notwendigkeit zur Einbindung von Anwendern ab. So geht es beispielsweise im Zuge der Feinplanung nur noch darum, die bereits vorliegenden Planungsergebnisse, an deren Entwicklung die Anwender ja in vorausgegangenen Phasen partizipiert haben beziehungsweise beteiligt waren, in eine ausführbare Form zu bringen. Wichtig ist allerdings über alle Phasen hinweg, dass die ursprünglichen Beiträge der Anwender erkennbar bleiben. Sollten diese in der endgültigen Lösung nicht mehr wiederzufinden sein, kann die vorausgegangene Einbindung der Anwender sogar in das Gegenteil dessen umschlagen, was damit beabsichtigt ist, denn die Anwender könnten die Ernsthaftigkeit infrage stellen, mit der ihre Beiträge eingefordert wurden.
Auf jeder Detaillierungsstufe folgt das Vorgehen dem Problemlösungszyklus (Abbildung 6). Den Ausgangspunkt dieses Vorgehensmodells (vgl. Ahrens 2014, S. 80 ff.) bildet ein konkreter Anlass (1), der jedoch dadurch, dass es sich um ein Problem handelt, das, wie oben bereits erwähnt, dadurch gekennzeichnet ist, dass zur Überwindung der Barriere zwischen dem aktuellen und dem angestrebten Zustand nicht alle Kenntnisse und/oder Mittel verfügbar sind, nicht schon alles liefert, was zur Lösung des Problems erforderlich ist. Daher ist es zunächst notwendig, eine eingehende Analyse der Ausgangssituation (2) durchzuführen. Erst wenn alle Informationen in der jeweils erforderlichen Detaillierungsstufe vorliegen, können die Ziele umfassend und konkret genug formuliert werden (3), um dem weiteren Vorgehen eine Richtung zu geben. Daran schließt sich die Auswahl von Methoden und Werkzeugen an (4), die zur Lösungsentwicklung geeignet erscheinen. Mit deren Hilfe werden anschließend, einem weiteren Grundprinzip des Systems Engineerings folgend, Lösungsvarianten entwickelt (vgl. Haberfellner et al. 1976/2015, S. 59 f.). Im Detail erfolgt dies durch ein wiederholtes Durchlaufen der Synthese (5), in der die kreative Lösungssuche erfolgt, und einer sich jeweils anschließenden Analyse (6), in der die gefundenen Lösungen einer kritischen Überprüfung unterzogen werden. Die auf diese Weise entwickelten Lösungsvarianten werden abschließend vergleichend bewertet (7), um das relative Optimum zu bestimmen. Nach jeder Phase wird das jeweils Erreichte einer kritischen Prüfung unterzogen, um zu entscheiden, ob die nächste Phase begonnen werden kann oder ob ein Rücksprung in eine frühere Phase oder sogar ein Abbruch des gesamten Vorhabens erforderlich ist. Insoweit handelt es sich um ein zyklisches Vorgehen und nicht, wie es in vielen Quellen heißt (vgl. z. B. Cooper 2002/2016, S. 146), um einen Prozess (vgl. Ahrens 2017).
Das Cardboard Engineering wird in den Phasen der Lösungssynthese (5) und -analyse (6) eingesetzt. Insoweit kann man damit nicht, um es umgangssprachlich auszudrücken: einfach loslegen. Vielmehr ist auch bei einem Einsatz dieser Methode zunächst eine dem Detaillierungsgrad angemessene Situationsanalyse durchzuführen. Dazu zählen unter anderem eine Stakeholder-Analyse und eine darauf basierende Anforderungsanalyse (vgl. Ebert 2009/2019), eine Risiko-Analyse (z. B. FMEA: Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse oder SWOT: Strengths-Weaknesses-Opportunities-Threats) und eine Recherche nach bereits vorhandenen Lösungselementen beispielsweise durch Beobachtungen, Befragungen oder Literaturrecherchen (vgl. Diekmann 2007/2017).
Vor allem aus der Stakeholder-Analyse geht hervor, welche Anspruchsgruppen am Bau des Mockups beteiligt werden sollten. Bisher wurden in diesem Zusammenhang lediglich die
Anwender genannt. Im konkreten Fall muss das aber oft noch weiter spezifiziert werden. Neben Werkern können das auch Vertreter des Betriebsrats, des Managements, des Arbeitsschutzes, des Qualitätsmanagements, des Umweltschutzes oder der Beschaffung sein, und in der Zulieferindustrie kann es unter Umständen sogar sinnvoll sein, den Kunden hinzuzuziehen. Bereits vor Beginn des Baus eines Mockups sollten eventuelle (3) Zielkonflikte gemeinsam identifiziert werden, um sie durch das Aushandeln von Kompromissen frühzeitig beseitigen zu können.
Eine konkrete Festlegung auf die Anwendung des Cardboard Engineerings als (4) Methode zur Lösungsentwicklung erfolgt erst in der nun folgenden Phase. Darüber hinaus können weitere Methoden ausgewählt werden, die begleitend zum Einsatz kommen sollen. Dazu können beispielsweise Kreativitätstechniken wie das Brainstorming oder die Morphologie zählen (vgl. Andler 2015, S. 183 ff.). Und auch für die abschließende Bewertung sind die dafür vorgesehenen Methoden wie zum Beispiel eine Nutzwertanalyse (vgl. ebd., S. 400 ff.) festzulegen.
Im Zuge der nun folgenden Lösungsentwicklung unterstützt das Cardboard Engineeri