2.04.2016 Arbeitspapiere

Die flexible Fertigungszelle als ein Cyber-Physikalisches Produktionssystem (CPPS)


1. Einleitung


Die Entwicklung der industriellen Produktion zur Industrie 4.0 verspricht vielfältigen Nutzen für alle Beteiligten entlang der Wertschöpfungskette. Der Weg zur Industrie 4.0 ist aus technologischer Sicht dabei eine rein evolutionäre Entwicklung [AHR2012]. Die wirkliche Revolution besteht vielmehr in den Auswirkungen auf vorhandene Geschäftsprozesse und speziell darin, vollkommen neue Geschäftsmodelle entwickeln zu können. Aus diesem Grund hat die „Plattform Industrie 4.0“. die Entwicklung von Methoden für Geschäftsmodelle als eines der zentralen Themen in ihre Umsetzungsstrategie aufgenommen [BVZ2015]. Auch aktuelle Studien zeigen, dass für eine Vielzahl der Unternehmen aus der deutschen Kernindustrie eine der größten Chancen der Digitalisierung darin besteht, neue Unternehmenskonzepte zu entwickeln [DEB2015][BMWI2015]. Dennoch wird diese strategische Perspektive insbesondere in der fertigenden Industrie aktuell kaum umgesetzt. Produzierende Unternehmen sind sich der Chance, die sich durch diese Branchenveränderung ergibt zwar bewusst, nutzen die neuen Möglichkeiten jedoch vorwiegend für das operative Geschäft, zur Optimierung bestehender Prozesse und Produkte [BAU2014].

 

Bisher gibt es nur wenige Beispiele aus der Praxis, in denen durch die Möglichkeiten der Industrie 4.0 neu geschaffene Geschäftsmodelle umgesetzt werden [MEU2015]. Diese Arbeit liefert einen entsprechenden Ansatz. Es soll unter Berücksichtigung neuer Möglichkeiten die sich durch die Technologien der Industrie 4.0 bieten, ein tragfähiges Geschäftsmodell identifiziert, konkretisiert, methodisch geplant und anschließend in Form einer flexiblen Fertigungszelle modellhaft als Cyber-Physikalisches Produktionssystem (CPPS) realisiert werden. Dabei liegt der Schwerpunkt nicht auf der reinen Anwendung von Technologien, sondern vor allem auf der Praxisrelevanz des Geschäftsmodells und der Erreichung eines Mehrwertes durch den Einsatz der gewählten Technologien. Dabei wurde folgendes Vorgehen gewählt:

 

  1.  Mögliche Geschäftsmodelle identifizieren, priorisieren und ein geeignetes Geschäftsmodell auswählen. Möglichkeiten der Kombinatorik von individuellen und standardisierten Teilen innerhalb einer flexiblen Fertigungszelle unter Verwendung von kollaborierenden Robotern berücksichtigen.
  2. Planung der Realisierung des ausgewählten Geschäftsmodells. Kritische Bewertung der Vorstudie hinsichtlich der Eignung für das gewählte Geschäftsmodell.
  3. Erstellung einer Visualisierung als Nachweis der Funktionalität des CPPS.

2. Definition Industrie 4.0 und Cyber-Physical System


Der Arbeitskreis Industrie 4.0 hat 2013 folgende Definition gegeben [ACT2013]: „Im Zusammenspiel mit der fortschreitenden Miniaturisierung und dem Siegeszug des Internets führt dieser Trend zur Allgegenwärtigkeit der rechnergestützten Informationsverarbeitung (Ubiquitous Computing). Autonome, leistungsfähige Kleinstcomputer (Eingebettete Systeme/Embedded Systems) werden zunehmend drahtlos untereinander und mit dem Internet vernetzt: Die physikalische Welt und die virtuelle Welt (der Cyber-Space) verschmelzen zu sogenannten Cyber-Physical Systems (CPS). Mit der Einführung des neuen Internetprotokolls IPv62 im Jahr 2012 stehen ausreichend Adressen für die flächendeckende, unmittelbare Vernetzung von intelligenten Gegenständen per Internet zur Verfügung. Somit wird erstmals eine Vernetzung von Ressourcen, Informationen, Objekten und Menschen möglich, die auch die Industrie betrifft: Das Internet der Dinge und Dienste. Diese technologische Evolution lässt sich bezogen auf die Produktion als vierte Stufe des Industrialisierungsprozesses bewerten: Industrie 4.0.“

 

CPS können sich zu übergeordneten Systemen, z.B. sog. Cyber-Physical Production Systems (CPPS), vernetzen und neue Dienste und Funktionen ausführen. So kann aus der Kombination von CPS ein Smart Home, eine Smart City, ein Smart Grid oder eine Smart Factory werden [ACT2013].

 

Die Anwendung der CPS in der Industrie 4.0 führt zur durchgängigen Digitalisierung des Produktlebenszyklus. In Kombination mit der Fähigkeit zur Vernetzung können neue Geschäftsmodelle entstehen. Diese werden durch Industrie-4.0-Wertschöpfungsketten und Wertschöpfungsnetzwerke beschrieben [VDI2014].

 

Erwartet werden:
  • neue Geschäftsmodelle,
  • Produktivitätsverbesserungen und
  • kundenindividuelle Dienstleistungen und Produkte.

Dabei werden Umwälzungen erwartet, die denen nach der Einführung des Internets nicht nachstehen [ACT2013][BAU2014][BMWI2015].



3. Konzeption von Geschäftsmodellen


David Teece beschreibt Geschäftsmodelle so [TEE2010]: „The essence of a business model is defining the manner by which the enterprise delivers value to customers, entices customers to pay for value, and converts those payments to profit.“ Eine Möglichkeit der Geschäftsmodellentwicklung sind systematische Ansätze, z.B.:


  • Design Thinking (z.B. [BRE2011]),
  • Business Modell Canvas [OST2011] oder
  • Geschäftsmodell-Muster [GAS2013].

 

Ausgangspunkt ist die Geschäftsidee, die effizient auch durch Kreativitätstechniken herausgearbeitet werden kann [HER2005]. Für die erste Sammlung von Geschäftsideen hat wurden Webrecherchen und die Kreativitätstechniken des Brainstormings und Brainwritings angewendet und in Mindmaps dokumentiert. Es wurden Geschäftsideen gesucht, die für die Anwendung von CPS prädestiniert scheinen oder die Anwendung von CPS zwingend voraussetzen würden.


3.1. Ansatz B2B


Innerhalb des B2B-Zweiges wurden besonders viele Geschäftsideen in dem Bereich Ersatzteilfertigung gefunden. Auch gibt es Verbindungen zu anderen Ideenansätzen, wie etwa der Ersatzteilversorgung im B2C-Bereich oder generell der Individualisierung von Werkzeugen.


3.2. Ansatz B2C


Als weiterer Ansatz wurden Geschäftsideen im Business-to-Consumer-Bereich untersucht.


3.3. Ansatz Megatrends


Um bei der Entwicklung eines Geschäftsmodells aus einer anderen Perspektive zu starten, wurde eine weitere eigenständige Mindmap mit dem Ausgangspunkt „Megatrends“ erstellt. Megatrends gelten in der Trendforschung als besonders tiefgreifende und nachhaltige Veränderungen der Gesellschaft, Wirtschaft oder Technologie. Da der gesamte Industrie 4.0-Kontext des Projektes und besonders die Technologie der additiven Fertigung völlig neue Verfahren mit bisher nicht ausgeschöpftem Potential ermöglichen, bietet sich eine Suche nach Geschäftsmodellen aus dem Blickwinkel zukünftiger Erfordernisse an. Ein ideales Geschäftsmodell für das Projekt wäre die Lösung eines Problems, welches aus einem Zukunftstrend entstehen wird und mit bisheriger Technologie nicht oder nicht ausreichend wirtschaftlich gelöst werden kann. Großes Potential hat sich in dem Megatrend „Individualisierung“ ergeben.

 

Langfristig könnte durch diesen Megatrend ein Paradigmenwechsel stattfinden, der bewirkt, dass ein Mehrwert eines Produktes nicht mehr durch seine kostengünstige Massenfertigung entsteht, sondern durch die Möglichkeit seiner Individualisierung [BAU2014]. Das zentrale Problem bisheriger Fertigungsmethoden wäre in diesem Fall, dass nicht auf individuelle Erfordernisse eingegangen werden kann, ohne hohe Kosten in der Herstellung zu erzeugen. Additive Fertigungsverfahren in Verbindung mit den Möglichkeiten von Industrie 4.0 könnte dafür eine Lösung liefern, indem die kostengünstige, massenhafte Fertigung individueller Produkte ermöglicht wird.

 

Aus der Verbindung des Megatrends „Individualisierung“ mit dem Ideenansatz „Mensch – Wohnung“ sind diverse Ideen für Produkte entstanden.


3.4. Bewertung und Auswahl der Idee


Die Bewertung der identifizierten Produktideen findet durch ein zweistufiges Verfahren statt. Zuerst verteilen Bewertenden vier Punkte. Danach werden die Ideen sowie die erzielten Stimmen nach Häufigkeit sortiert. Anschließend werden die bereits identifizierten Querverbindungen genutzt und Cluster gebildet.

 

Die drei größten Cluster Bedienelemente, Ersatzteile und Schutzausrüstung wurden in einer Analysephase weiter betrachtet. Das größte Potential besitzt die Produktidee „Individuelle Schalter & Steckdosen“, die im Folgenden weiter als Geschäftsmodell „Bedienelemente“ betrachtet wird.


4. Analyse des Geschäftsmodells „Bedienelemente“


Die Produktidee "Bedienelemente" umfasst zum einen Schalter- und Steckdosen-Abdeckungen/Rahmen, aber auch Haken, Griffe, Blenden und Gehäuse wie bspw. bei Rauchmeldern in privaten Haushalten. Diese sollen in ihrer Form/Anordnung, Farbe und ihrem Material kundenspezifisch gefertigt werden. Dabei erhält der Kunde große Individualisierungsmöglichkeiten, um z.B. die Farbe seiner Lichtschalter und Steckdosen mit der Wandfarbe zu kombinieren.


4.1. Geschäftsmodell


Das Geschäftsmodell orientiert sich an Kunden, die ihren privaten Wohnraum individuell gestalten wollen. Daher ist eine Kooperation mit einer Baumarkt-Kette sinnvoll, um die Kunden, die z.B. Wandfarbe kaufen, direkt für farblich abgestimmte Schalter- und Steckdosen zu gewinnen. Die Fertigung könnte in einer flexiblen Fertigungszelle direkt vor Ort erfolgen und dem Kunden das Produkt nach kurzer Wartezeit direkt zur Mitnahme bereitstellen. Dies verringert die Bestände vor Ort bei gleichzeitiger Erhöhung der Verfügbarkeit an Teilen.


4.2. Markt


Der Zielmarkt umfasst zunächst Privatpersonen, die ihren Wohnraum individuell gestalten wollen. Da die Individualisierung von Produkten ein Megatrend ist, ist von hohen Wachstumsraten in diesem Markt auszugehen. Die flexible Erweiterung der Produktpalette ermöglicht zusätzliches Wachstumspotenzial.


4.3. Investitionsbedarf


Der Investitionsumfang für eine flexible Fertigungszelle zur Realisierung des Geschäftsmodells ist als eher gering einzuschätzen. Bei einer Umsetzung an vielen Standorten ist jedoch ein erheblicher Investitionsumfang erforderlich.


4.4. Entwicklungspotenzial


Das Geschäftsmodell weist ein erhebliches Entwicklungspotenzial auf, da laufend individualisierbare Produkte aus dem Bereich Haustechnik/ Wohnraumgestaltung, die durch die vorhandene Anlage produzierbar sind, in die flexible Fertigung integriert werden können.


4.5. Geschäftsprozess


Das Geschäftsmodell „Bedienelemente“ sieht vor, eine flexible Fertigungszelle innerhalb eines Baumarktes zu platzieren und nach Kundenanforderung unterschiedliche Bedienelemente zu drucken und nach Fertigstellung direkt auszugeben.

Um die ausgewählten Bedienelemente gemäß der modellierten Geschäftsprozesse herstellen zu können, wurde in einer Machbarkeitsanalyse eine Auswahl geeigneter Materialien für die individuellen Produktbestandteile, einsetzbare Technologien und geeignete Norm- oder Standardteile getroffen.

 

Als Technologieschwerpunkt sind die additiven Fertigungsverfahren zu identifizieren, da durch diese die Material- und Produktvielfalt in erheblichem Maße bestimmt wird (siehe auch [BEY2013]). Diese werden unter der Berücksichtigung der Faktoren Eigenschaften, Verfahren, Material und Nachbearbeitung verglichen. Ausschlaggebend für die Auswahl des additiven Fertigungsverfahrens ist insbesondere die Notwendigkeit von Nachbearbeitung bei einigen Verfahren. Durch recht aufwendige Nachbearbeitungsschritte bei Teilen, die mit FDM oder SLM gefertigt werden, fallen diese beiden Verfahren aus der weiteren Betrachtung heraus. Außerdem sind bei den Verfahren Polyjet und SLS das Fertigen von Endbenutzertauglichen Teilen möglich, sodass die Nachbearbeitung sehr kurz ausfällt. Mithilfe des Polyjet-Verfahrens können zusätzlich mehrfarbige Kunststoffteile hergestellt werden und das SLS-Verfahren eignet sich besonders für verschiedene Materialien. SLS- und Polyjet-Verfahren sind für alle drei Geschäftsmodelle geeignet und decken damit komplett die benötigten Materialien ab.


5. Realisierung des ausgewählten Geschäftsmodells


Das ausgewählte Produkt für die Umsetzung des Geschäftsansatzes „Bedienelemente“ sind Rahmen und Abdeckungen für Schalter und Steckdosen. Den Kunden wird damit, im Vergleich zu den vorhandenen Varianten der etablierten Anbieter, eine vollständige Individualisierung geboten. Diese umfasst zum einen die freie Auswahl von Farben und zum anderen eine freie Gestaltung der Form, die nur durch die standardisierte Schnittstelle zum eigentlichen Funktionselement eingeschränkt ist. Darüber hinaus erhält der Kunde die Möglichkeit zwischen Kunststoffen, Metallen und keramischen Werkstoffen zu wählen. Im Folgenden sind zwei Individualisierungsbeispiele von Lichtschaltern gezeigt. Abbildung 13 zeigt eine Lichtschalterabdeckung, angelehnt an die Gebäudeform (Dockland in Hamburg); Abbildung 14 die Umsetzung des Grundrisses zur Funktionsdarstellung des Schalters.

 

Der hier als wichtigster Markt identifizierte „Do-It-Yourself“-Markt umfasst Privatpersonen, die für eine individuelle Gestaltung ihres Wohnraumes im Baumarkt eine große Auswahl an Produkten erwarten und diese in der Regel in Eigenleistung verbauen. Mit Bezug auf das Produkt der Rahmen und Abdeckungen für Schalter und Steckdosen werden somit in erster Linie Kunden angesprochen, die ihr Eigenheim bauen, sanieren oder renovieren und dabei besonderen Wert auf eine individuelle Gestaltung legen.

Priorität hat für viele Kunden die individuelle Gestaltung der Form und der Farbe des Produktes. So könnte ein Kunde zum Beispiel die Schalter und Steckdosen passend zu der ausgewählten Wandfarbe bestellen und sie in der Form an seine Wünsche anpassen. Darüber hinaus könnte auch eine freie Auswahl aus verschiedenen Materialkombinationen als Mehrwert angeboten werden.

 

Bei der Ausgestaltung der Absatzstrategie ist in erster Linie zu beachten, dass die Kunden für das Produkt nicht sensibilisiert sind, da es sich um einen neuartigen Ansatz handelt. Aus diesem Grund ist eine Kooperation mit einem Baumarkt in einem großen Einzugsgebiet sinnvoll. Hier können die Kunden, die zu einem Großteil genau dem angesprochenen Kundensegment angehören, vor Ort angesprochen werden. Die Produkte können dabei vor Ort gestaltet und bestellt werden. Nach der abgeschlossenen Produktion können die Produkte abgeholt oder versandt werden. In einer späteren ersten Ausbaustufe könnte die Wiederbeschaffung über ein Online-Kundenprofil realisiert werden.

Aus dieser Ausgestaltung des Geschäftsmodells ergibt sich das Risiko der Abhängigkeit von der Baumarktkette. Auch das geringe Expansionspotential innerhalb eines Baumarkts ist als kritisch zu bewerten. Die Nähe zum Baumarkt bietet jedoch auch viele Synergieeffekte. So können die Standardteile (Funktionselemente, Schrauben, Hohlwanddosen, etc.) aus dem Bestand des Baumarkts übernommen werden, sodass für diese Teile keine zusätzliche Kapitalbindung erforderlich ist. Dem Baumarkt bietet dies den Vorteil, dass Kunden motiviert sind, einen sehr hohen Anteil des Materials aus dem Bestand des Baumarktes zu kaufen (alles aus einer Hand). Darüber hinaus bietet sich dem Baumarkt ein Wettbewerbsvorteil durch die Realisierung der individuellen Bedienelemente. Der Baumarkt hat somit auch ein hohes Eigeninteresse das neue Produkt zu bewerben, was die Realisierung dieser Geschäftsidee zusätzlich um das Marketingbudget erleichtert.

 

In einer ausgewogenen Kooperation mit einer Baumarktkette könnte sich somit eine „Win-Win-Situation“ ergeben. Das Geschäftsmodell könnte dabei in einer mietfreien Fläche innerhalb des Baumarktes realisiert werden und der Baumarkt würde von steigenden Umsätzen und einer hohen Kundenbindung profitieren.

 

Nach der erfolgreichen Einführung könnte eine Verbreitung der neuen Produktidee zusätzlich über Internetplattformen (z.B. Youtube) oder Fernseh-Magazine (z.B. Galileo, Welt der Wunder, etc.) erfolgen, die ebenfalls für ein positives Image und eine hohe öffentliche Wahrnehmung des kooperierenden Baumarktes führen würde.


Ein durchschnittlicher Kundenauftrag für den Bau oder die Renovierung eines Eigenheims würde in etwa 10 bis 20 Lichtschalter und 25 bis 50 Steckdosen umfassen. Somit ist eine Auslastung einer Fertigungszelle bereits mit einer relativ geringen Kundenanzahl möglich. Hierbei ist darauf zu achten, dass ausreichend Ausbau-Reserven geplant und mit geringem Aufwand realisierbar sind.

 

Das Entwicklungspotenzial ergibt sich zunächst aus der Ausweitung auf weitere Baumärkte in anderen Städten. Hierbei sollte berücksichtigt werden, dass die einzelnen Standorte über eine ausreichende Distanz zueinander verfügen, um einen direkten Wettbewerb zu vermeiden. Die verschiedenen Standorte würden hierbei ein horizontales Wertschöpfungsnetzwerk (Abbildung 14) bilden. Dabei könnte das Kapazitätsmanagement die vorhandenen Aufträge nicht nur innerhalb einer Anlage verwalten, sondern ggfs. über das gesamte Netzwerk steuern. So könnten freie Kapazitäten an einzelnen Standorten ideal genutzt werden. Die nachfolgende Abbildung verdeutlicht das Prinzip eines horizontalen Wertschöpfungsnetzwerks. Die Betriebe 1, 2 und 3 repräsentieren in diesem Fall verschiedene Standorte in Baumärkten. Der Kapazitätsausgleich erfolgt über ein digital vernetztes Auftragsmanagement. Der Versand der Ware kann über herkömmliche Paketdienste realisiert werden.

 

In einem weiteren Schritt könnte ein Online-Shop eingerichtet werden, der es Bestandskunden ermöglicht seine vergangenen Aufträge abzurufen und zusätzlich benötigte Teile nachzubestellen. In einem weiteren Schritt würde die Ergänzung eines Online-Konfigurators auch eine vollständige Online-Auftragsabwicklung ermöglichen. Dies würde nach einer erfolgreichen Implementierung einen Kundenkreis aufbauen, der unabhängig vom Zugang zu einem der Standorte die Produkte konfiguriert und bestellt. Insbesondere für die Produktion für diese Aufträge wäre damit auch der Aufbau weiterer Produktionskapazität, die unabhängig von der kooperierenden Baumarktkette in einer kostengünstigen Region aufgebaut werden könnte, sinnvoll.

 

Darüber hinaus könnten im Zeitverlauf weitere Produkte in das Portfolio aufgenommen werden. Das Umfeld des Baumarktes bietet ein hohes Potenzial, da weitere Produkte aus dem Sortiment für den Kunden individuell angeboten werden könnten.

Der Investitionsumfang enthält in erster Linie die Produktionsanlage. Durch die Kooperation mit einer Baumarktkette sind die weiteren Kosten für Material, Marketing, Verwaltung und Vertrieb als gering anzusehen.


5.1. Bestellprozess


Der Bestellprozess aus Sicht des Kunden läuft im Wesentlichen wie in Kapitel 4.5 beschrieben ab. Einige Details müssen jedoch ergänzt werden. Die Auswahl der Elemente und des Designs aus einem Katalog erfordert, dass die entsprechende Datenbank beliebig erweitert werden kann. Die Datenbank muss auf das jeweilige Sortiment des Baumarktes angepasst werden und ist idealerweise über das Internet mit anderen Baumärkten vernetzt. Dadurch haben alle Standorte unabhängigen Zugriff auf umfassende Informationen wie Designs und Fertigungsdaten.

 

Für die manuelle Eingabe eines Designs müssen bestimmte Standards wie beispielsweise das Datenformat eingehalten werden. Auch bauliche Restriktionen wie Größe, Material und Geometrie sind vorhanden und müssen beachtet werden. Deshalb muss für individuelle Designs ein Konstruktionsleitfaden erstellt werden, in dem alle notwendigen Vorgaben aufgeführt sind.

 

Der Bestellprozess kann sowohl vor Ort im Baumarkt durchgeführt werden, als auch online über eine entsprechende Website. Der Ablauf des Bestellprozesses ist in beiden Fällen identisch, jedoch entfällt bei der Onlinebestellung die Möglichkeit der persönlichen Beratung. Nach dem Start des Produktionsauftrages wird dem Kunden die voraussichtliche Bearbeitungsdauer mitgeteilt. Bei Fertigstellung des Auftrages bekommt der Kunde eine entsprechende Information per E-Mail oder SMS. Die Bestellung wird dann entweder in den Versand gegeben oder der Kunde kann sie in der Entnahmestation abholen.


5.2. Fertigungsprozess


Zum Fertigungsprozess gehören sowohl automatisierte Abläufe als auch ein menschlicher Montagearbeitsplatz. Der Druck eines oder mehrerer Teile, die Kommissionierung von Normteilen und die Bereitstellung zur Montage laufen vollständig automatisiert ab und benötigen keine menschlichen Eingriffe. Diese Schritte können daher unabhängig von Öffnungs- bzw. Arbeitszeiten ablaufen, beispielsweise über Nacht, um einen Vorlauf an Aufträgen zur Montage zu schaffen. Es ist somit möglich, Stillstände aufgrund von Materialmangel auf dem Montagearbeitsplatz zu vermeiden und eine durchgehende Auslastung zu erreichen.

 

Die Montage erfolgt je nach Produkt vollständig manuell durch den Menschen oder teilautomatisiert mit der Unterstützung durch einen kollaborierenden Roboter. Denkbar ist beispielsweise das Anreichen und Halten schwerer Teile oder Geräte durch den Roboter. In weiteren Ausbaustufen kann der kollaborierende Roboter weitere Aufgaben wie z.B. das mechanische Bearbeiten von Teilen (Entgraten, Überschleifen, etc.), Lackieren, Verschrauben oder die Vormontage von Baugruppen selbständig übernehmen. Hierfür sind ggf. weitere Werkzeuge und Schnittstellen zu installieren. Für die haptische und visuelle Kontrolle der Teile während und nach der Montage, insbesondere in Bezug auf die Qualitätskontrolle, bleibt jedoch die Anwesenheit eines Menschen auch weiterhin unerlässlich.

 

Die Verpackung der Produkte und die Übergabe an den Versand bzw. die Ausgabestation erfolgen ebenfalls voll automatisiert per kollaborierendem Roboter.


5.3. Techische Ausrüstung des CPPS


Damit geeignete technische Systeme für das Geschäftsmodell ausgewählt werden können, müssen Anforderungen an diese formuliert werden. Diese lassen sich einerseits aus den Produktdaten ableiten. Die nachfolgende Tabelle beschreibt die technischen Daten der vorerst festgelegten Produkte aus dem individuellen Produktportfolio.

Zu den relevanten technischen Daten gehören u.a. die Abmessungen der Einzelteile, das Gewicht, das Material und der Detaillierungsgrad. Aus diesen Kennzahlen lassen sich Anforderungen für die technische Ausrüstung in den nächsten Unterkapiteln formulieren. Im Anschluss daran werden verschiedene Systeme auf Grundlage dieser Anforderungen miteinander verglichen und geeignete Systeme ausgewählt.

 

Die Anforderungsliste an die additiven Fertigungssysteme umfasst:

 

  • Additives Fertigungsverfahren: SLS oder Polyjet
  • Detaillierungsgrad von mindestens 0,01 mm
  • Minimaler Bauraum (LxBxH): 250 mm x 250 mm x 50 mm
  • Einsatz verschiedener Materialien: Kunststoff, Metall, Keramik
  • Niedrige Materialkosten
  • Hohe Baugeschwindigkeit
  • Offene/universelle Programmierschnittstelle
  • Hohe Zuverlässigkeit
  • Geringe Stellfläche

Die Anforderungen Detaillierungsgrad, minimaler Bauraum und Materialien leiten sich ebenfalls aus den technischen Daten der Produkte ab. Niedrige Materialkosten und die hohe Baugeschwindigkeit beeinflussen direkt oder indirekt den Return on Investment eines additiven Fertigungssystems im Rahmen des Geschäftsmodells „individuelle Bedienelemente“. Die offene Programmierschnittstelle ist erforderlich, um die Anbindung an selbst entwickelte Softwareprogramme zu ermöglichen. Die hohe Zuverlässigkeit des Systems muss gegeben sein, damit dieser im besten Fall 24 Stunden am Tag fertigen kann. Zusätzlich begünstigt eine geringe Stellfläche die Skalierbarkeit der Fertigungssysteme durch die Möglichkeit, mehrere additive Fertigungssysteme in einer flexiblen Fertigungszelle unterzubringen.

 

Die additiven Fertigungssysteme sind vorrangig anhand der für die Realisierung benötigten Materialien ausgewählt worden. Außerdem sind weitere wichtige Daten in der Tabelle zusammengefasst, wie z.B. ein ungefährer Kaufpreis, Druckgeschwindigkeit, Bauraum und die verwendete Technologie. Die Druckgeschwindigkeit ist ein besonderes Kriterium, da ein schneller gedrucktes Zeichnungsteil die Durchlaufzeit eines Auftrags maßgeblich verkürzen kann. Unter der Betrachtung aller aufgelisteten Daten wird die Tauglichkeit der verschiedenen additiven Fertigungssysteme für das Geschäftsmodell „individuelle Bedienelemente“ festgestellt.

 

Die Anforderungsliste an den kollaborativen Roboter umfasst:

 

  • Integrierte Sicherheitseinrichtungen (=Kollaborativität)
  • Kommissionierroboter Reichweite mindestens 1,5 m
  • Montageroboter Reichweite von ca. 1 m
  • Maximales Traggewicht von mindestens 3 kg
  • Erweiterbarkeit mit Sensoren, z.B. RFID-Scanner, Kamera
  • Geeignete Greifeinrichtung
  • Offene/universelle Programmierschnittstelle

 

Die Reichweiten für die Roboter, die Erweiterbarkeit mit Sensoren sowie die geeignete Greifeinrichtung leiten sich aus dem Fertigungskonzept ab. Das maximale Traggewicht ist aufgrund der vorerst festgelegten Produktpalette sehr niedrig festgesetzt. Wie bei den additiven Fertigungssystemen, begünstigt eine universelle Programmierschnittstelle auch bei den kollaborativen Robotern die Implementierung dieser in das Fertigungskonzept. Die Bewegungsgeschwindigkeit ist bei den kollaborativen Robotern nicht von elementarer Bedeutung, da laut dem Fertigungsprozess der Engpass bei der Erstellung der Zeichnungsteile mit den additiven Fertigungssystemen liegt.

 

Die Roboter sollen zwei wesentliche Aufgaben in der flexiblen Fertigungszelle übernehmen: Zeichnungs- bzw. Standardteile kommissionieren und den Menschen bei der Montage der Baugruppe unterstützen. Die dabei betrachteten Kriterien sind die spezifischen Produktfeatures, der bevorzugte Anwendungsbereich und der Preis. Auf die Darstellung der Bewegungsgeschwindigkeit als Kriterium wurde bewusst verzichtet, da diese wie bereits erwähnt, für den Fertigungsprozess nicht ausschlaggebend is