Reinhard Ueberhorst
Über das 63. Forum Politik und Wirtschaft zum Thema: Resiliente Lieferketten für die Transformation zur Klimaneutralität 2045
Wenn wir aufnehmen, was uns diese Veranstaltung dank der Referentin Regine Günther und der Diskussion gelehrt hat, wird es nicht das letzte Mal gewesen sein. Jetzt aber war es das erste Mal, dass wir die Herausforderung resilienter Lieferketten im Kontext der für Deutschland angestrebten Klimaneutralität für ein Forum Politik und Wirtschaft als Thema aufgerufen haben. Das Thema gehört auf absehbare Zeit auf viele Agenden wissenschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Akteure. Insbesondere gemeinsamer Agenden, weil viel bereichsübergreifend kommuniziert werden muss.
Mit seiner einstweilen noch sperrigen Begrifflichkeit ist das Thema der resilienten Lieferketten, schlicht gesagt, wichtig für alle, die die Herausforderung der angestrebten Klimaneutralität verstehen und operativ interpretieren können wollen. Auf unserer Veranstaltung haben alle, die das Wort genommen haben, circa 15 der gut 40 Teilnehmenden, dies jeweils in ihren Worten als Einsicht bekundet und gleichzeitig ebenfalls ausnahmslos alle auf offene Fragen und noch nicht erreichte Verständigungen hingewiesen. Auch die Referentin akzentuierte mehrfach, dass wir am Anfang stünden. Eine politische Mehrheit für ein gemeinsames Verständnis guter politischer Rahmenbedingungen für den beschleunigten Aufbau resilienter Lieferketten sei noch nicht erreicht.
„Neben den Unternehmen kommt gerade der Politik wesentliche Verantwortung zu, die unterstützenden Rahmenbedingungen für den beschleunigten Aufbau der Zukunftsindustrien und resilienter Lieferketten für die Schlüsseltechnologien der Transformation und damit zukünftigen Wohlstands zu definieren.“ So heißt es auf der Seite 10 der ersten anspruchsvollen Studie, die die Lieferkettenproblematik im Kontext der angestrebten Klimaneutralität untersucht hat. Unter Resilienz verstehen die Autoren der Studie „die Fähigkeit, externe Schocks oder Verwerfungen der sozialen, wirtschaftlichen oder politischen Rahmenbedingungen insbesondere mit Blick auf die internationale Einbettung auszuhalten und sich an neue Bedingungen anzupassen“.
Veröffentlicht wurde diese Studie im September dieses Jahres durch die Stiftung Klimaneutralität.[1] Die Stiftung hatte drei renommierte Institute mit der Erarbeitung der Studie beauftragt – das Wirtschaftsforschungsinstitut Prognos AG, das Öko-Institut und das Wuppertal Institut. In der Auftragsvergabe durch die Stiftung, das möchte ich hervorheben, manifestiert sich ein Problembewusstsein, das anderen erkennbar voraus war. Wieder einmal lernen wir, dass in unserer Zeit immer öfter neue, auch überfällige politische Themen nicht durch politische Parteien, sondern durch Stiftungen, Think tanks, NGOs oder Wissenschaftler:innen auf die politische Tagesordnung gebracht werden. Hier durch eine aufgabenorientierte Kooperation einer als Think tank arbeitenden Stiftung mit drei wissenschaftlichen Instituten.
Die Direktorin dieser Stiftung und Projektleiterin der Studie, die Diplompolitologin Regine Günther, hatten wir als Referentin für das 63. Forum Politik und Wirtschaft gewinnen können. Ihr Vortrag basierte auf dieser Studie. Bessere Voraussetzungen für ein Forum zu einer neuen Thematik sind nicht vorstellbar. Dankbar haben wir die Chance genutzt, mit ihr ein Forum zu dieser gewichtigen und brandaktuellen, aber längst noch nicht gebührend verstandenen und politisch ungeklärten Thematik durchzuführen.
Ihren Vortrag präsentierte die Referentin mit einem wohl strukturierten systematischen Gedankengang mit 20 Folien. Die Systematik hatte sie vorab skizziert.
In der Reihe der Vorträge auf unseren Foren Politik und Wirtschaft war dieser 63. sicher einer, der den Zuhörenden viel abverlangte.
Im Ergebnis kam die Referentin mit ihrer 19. Folie zu fünf politischen Empfehlungen für den beschleunigten Aufbau resilienter Lieferketten. 1. Einführung eines umfassenden Resilienzmonitorings, 2. Stabile Absatzmärkte (Deutschland und EU) für Schlüsseltechnologien schaffen, 3. Technologie- und Rohstoffpartnerschaften aufbauen und stärken, 4. Unterstützung beim Aufbau von Produktionskapazitäten für Schlüsselindustrien und 5. Recyclingpotenziale erschließen. Die Botschaft: Resilienz kann erhöht werden, kostet aber eine „Versicherungsprämie“.
Es ist gut, dass wir die informations- und gedankenreichen 20 Folien (wie auch die ihnen zugrundeliegende Studie) nachlesen und nutzen können (Link am Ende dieses Berichts). Nutzen? Dass dies erwartet und gewollt wird, zeigte eine nicht auf schlichte Nachfragen zielende Diskussion. Die Diskussion war durchgängig aufgabenorientiert.
Allen, die dabei waren und das Wort nahmen, hatten wohl verstanden, dass die engagierte Referentin hier ein neues Aufgabenfeld aufgezeigt hatte. Für Unternehmen und überfällige politische Beratungs- und Verständigungsprozesse. Nicht wenige brachten neben dem Dank an die Referentin auch Irritationen und Sorgen zum Ausdruck. Nicht lamentierend, sondern verbunden mit konstruktiven Erwägungen, Erwartungen und auch Ankündigungen für ein eigenes zukünftiges Engagement.
Sorgen, Irritationen und Zukünftiges Engagement:
Im Chat fragte ein online Teilnehmender besorgt und kritisch zu den von der Referentin skizzierten politischen Empfehlungen, ob hier jetzt ein Übergang von der Marktwirtschaft zur Planwirtschaft anstünde. Damit fand er Widerspruch, nicht nur der Referentin. „Ein Plan ist noch keine Planwirtschaft“, so Günther. Auch andere bezweifelten, dass es sinnvoll wäre, die derzeit anstehenden ordnungspolitischen Entwicklungsaufgaben mit der schlichten Dichotomie von „Markt- oder Planwirtschaft?“ erfassen zu wollen. Deutlich wurde aber, dass es um ein neues Zusammenspiel von „Politik und Wirtschaft“, besser von politischen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Akteuren ginge, dessen Form noch nicht gefunden und besser aufgabenorientiert gemeinsam zu entwickeln wäre. Aufgabenorientiert hier an der Entwicklungsaufgabe resilienter Lieferketten.
In dieser Perspektive wurde auch die ebenfalls besorgte Frage aufgeworfen, wo denn zu diesem Thema demokratische, für Bürgerinnen und Bürger zugängliche Prozesse der Willensbildung stattfänden und welche Rolle eine demokratische Willensbildung für die anstehenden Transformationsprozesse überhaupt spielen sollte.
Ein ethisch herausforderndes Beispiel für überfällige Willensbildungsprozesse verdeutlichte die Photovoltaik-Unternehmerin Helen Lemm Bannister mit dem ungeklärten Spannungsfeld „Schnelle Energiewende oder Schutz der Menschenrechte?“. Sie adressierte die auch von der Referentin angesprochenen immensen Importe chinesischer Photovoltaik in Verbindung mit Menschenrechtsverletzungen an Uiguren, die diese chinesischen Exportprodukte herstellen.
Die Referentin konnte mit der Gewissheit nach Berlin zurückreisen, durch diese Veranstaltung für ihr Thema Partnerinnen und Partner im aufgabenorientierten Agieren gewonnen zu haben.
Sie selbst hatte ja ein Konzept für einen dringenden Handlungsbedarf präsentiert, das aber, wie sie betonte, „noch keine Mehrheit gefunden hat“. Das forderte vertiefende Beiträge heraus. In der Diskussion wurde festgestellt, dass es für das vorgeschlagene Konzept gleichzeitig noch keine Mehrheit und auch noch keine Alternativen gäbe. So sei auch noch nicht deutlich geworden, welche politischen Kontroversen zu klären wären und ob es überhaupt dazu komme.
Keine politische Mehrheit für ein Konzept, keine politisch diskutierten Alternativen und gleichzeitig ein wissenschaftlich aufgezeigter Handlungsbedarf. Wie sehen wir eine solche Situation, wenn sie so bliebe? Sie wurde als ein „worst case-Szenario“ angesprochen. Eine Herausforderung: Wir können es aus heutiger Sicht nicht ausschließen, möchten es aber verhindern und fragen dann: Wie?
[1] Die Studie ist über die Website der Stiftung Klimaneutralität zugänglich. https://www.stiftung-klima.de/de/studie/
[2] Details dazu in der erwähnten Studie