Reinhard Ueberhorst
Als ich im Gespräch mit dem Philosophen David P. Schweikard erfuhr, dass er im Auftrag eines Verlages an einem Buch über die Politische Philosophie arbeite, hatte ich den spontanen Wunsch, ihn als Referenten für ein Forum Politik und Wirtschaft zu gewinnen. Das sollte für uns attraktiv sein und nicht weniger auch für den Referenten. Für uns, weil die Politische Philosophie für das, worum es uns in der Reihe dieser Foren geht, sehr viel bieten kann. Den ertragsorientierten Sinn der Foren Politik und Wirtschaft kann man nicht gut aufzeigen, ohne auf Begriffe, Konzepte, Fragestellungen und Aufgabenverständnisse der Politischen Philosophie zurückzugreifen. In einer Zeit, in der dieser ertragsorientierte Sinn nicht mehr hinreichend verstanden wird, ist allein das ein starker Grund, ein Forum zur Politischen Philosophie anzustreben.
Für den Wunsch-Referenten hatte ich die Vorstellung, dass es für ihn als Autor attraktiv sein sollte, für sein Buchprojekt Gedankengänge zum Nutzen der Politischen Philosophie in einem interessierten, beruflich und fachlich bunt gemischten Auditorium zu testen. Mit anderen, aber auch attraktiven kommunikativen Ambitionen als in Vorlesungen für Studierende der Philosophie. Jetzt orientiert an der Konzeption einer Bildungsveranstaltung im Themenraum Politik und Wirtschaft in einem aufgabenorientierten Studium generale.
Kerngedanke dieser Konzeption, die seinerzeit mit dem Gründungspräsidenten der NORDAKADEMIE Professor Plate entwickelt und vereinbart wurde, ist ein Aufgabenverständnis für Hochschulen, das auch am vierten Bologna-Bildungsziel „Democratic Citizenship“ orientiert ist.[1] Hochschulen haben damit auch die Aufgabe, Studierende zu befähigen, sich kompetent in demokratische Prozesse in unserer demokratischen Gesellschaft einbringen zu können. Das Bildungsziel „Democratic Citizenship“ ist kein schmückendes Beiwerk der im Studium eigentlich wichtigen Studiengänge. Es zielt aufgabenorientiert auf die Qualität unserer demokratischen gesellschaftlichen Politikfähigkeit. Ob dieses Ziel in unseren Hochschulen hinreichend verstanden und umgesetzt wird, mit welchem Elan und in welcher Qualität, kann man füglich diskutieren. Wir arbeiten daran.
Die angestrebte Verständigung für eine Forum zur Politischen Philosophie war schnell erzielt. Die verfolgte Konzeption interessierte und reizte den Flensburger Philosophen. Vor der Veranstaltung war nur noch eine passende Fragestellung zu entwickeln. Das Ergebnis war die kurze und knappe Frage Wozu politische Philosophie? Damit sollte es um den heute erschließbaren Nutzen dieser weit über 2000 Jahre alten Teildisziplin der Philosophie gehen. In zweifacher Hinsicht: gesellschaftlich und individuell. Gefragt wurde also: Welchen Nutzen gewinnt eine Gesellschaft durch das Angebot der Politischen Philosophie? Und was gewinnt jede/r Einzelne, wenn sie oder er sich das Potenzial der Politischen Philosophie erschließt?
Klar war, dass es im Rahmen der Zeit einer Forumsveranstaltung nur um wichtige Zugänge, grundlegende Einsichten und vor allem um anregende Impulse gehen könnte, die zu Anschlussaktivitäten und zur vertiefenden Reflexion anregen. In der Hochschule sind diese im Seminar Politik und Wirtschaft – Basiswissen und -kompetenzen, zu dem das Forum gehört, aufzunehmen. In diesem Seminar wird das Forum vor- und nachbereitet; so jedenfalls soll es sein.
In seiner Hochschule, der Europa-Universität in Flensburg, ist die Politische Philosophie für unseren Referenten eines der Themen seiner Vorlesungen für Studierende der Philosophie. Bei uns hatte er sich auf ein ganz anderes, fachlich, beruflich vielfältig gemischtes Auditorium einzustellen. Studierende und Alumni der NORDAKADEMIE, Mitarbeiter:innen diverser Unternehmen, Wissenschaftler anderer Universitäten, die uns als Referenten und Seminargesprächspartner verbunden sind (darunter ein weiterer Philosoph) und thematisch interessierte Bürgerinnen und Bürger.
In der Orientierung an dieser heterogenen Gruppe lag eine Herausforderung für den Referenten, in der erfahrenen Zuwendung auf Augenhöhe gut erkennbar für ihn aber ganz offenbar auch ein Reiz dieser Veranstaltung. Alle Anwesenden durften sich durch den Philosophieprofessor zu jeder Minute als Adressaten der Politischen Philosophie angesprochen sehen. Pointiert gesagt: nicht als belehrungsbedürftige Nichtphilosophen. Diese Ansprache war nicht reiner Höflichkeit, sondern philosophischer Erkenntnis geschuldet. Dadurch wurde sehr gut nachvollziehbar, wem die Politische Philosophie im Verständnis unseres Referenten ihre Erkenntnisse vermitteln will und was daraus für ihre kommunikativen Ambitionen folgt.
Die Politische Philosophie ist dann keine Lehre von Denkern der Politischen Philosophie für andere Denker derselben. Sie muss, um ihren Nutzen nicht nur aufzeigen, sondern in realen politischen Prozessen auch zum Tragen bringen zu können, viele Menschen erreichen, im Zweifel alle, die in einer Gesellschaft der Freien und Gleichen in politischer Willensbildung gesellschaftliche Politikfähigkeit herbeiführen und erfahren wollen.
Das verweist auf einen Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher Politikfähigkeit und diskursiver Politik, der grundlegend für das aufgabenorientierte Studium generale ist, das wir in dem Seminar anstreben, zu dem das Forum Politik und Wirtschaft gehört, bewusst als öffentliche Veranstaltung.[2] Sie ist im Seminar vor- und nachzubereiten, sie ermöglicht den Seminarteilnehmenden wichtige Reflexionen zu Diskussionen, die wir im Seminar nicht simulieren können. Einige dafür aufnehmbare Impulse aus diesem Forum sollen gleich skizziert werden. Doch zuvor zum Vortrag.
Der Vortrag in sieben Abschnitten
Seinen Vortrag hatte Professor Schweikard in sieben Abschnitte gegliedert und mit Folien ausgearbeitet. Die Vortrags-Folien können am Ende des Beitrags mit dem Button aufgerufen und nachgelesen werden. Ich nenne hier nur die Überschriften der sieben Abschnitte.
Als die vereinbarte Vortragszeit von maximal 60 Minuten erreicht und der Abschnitt 6 „Streitpunkt Offene Grenzen“ noch nicht erreicht war, mussten wir leider ad hoc vereinbaren, auf diesen Abschnitt zu verzichten und zügig zum Schlussabschnitt zu kommen, mit dem alles Gesagte noch einmal komprimiert resümiert werden sollte. Mit Antworten auf die Frage: Wozu (also) Politische Philosophie? Die folgenden drei waren unserem Referenten die wichtigsten Antworten:
„Orientierung bieten für die Gestaltung der Verhältnisse, in denen wir gemeinsam leben“ -- mit dieser Botschaft zum angestrebten Nutzen einer Politischen Philosophie, die sich insbesondere um Gütekriterien für gute (und richtige!) Argumentationen in gemeinwohl- und gestaltungsorientierter politischer Willensbildung bemüht, erfasste der Referent exakt den Bereich, der uns im Seminar und im Forum Politik und Wirtschaft interessiert. Der Bereich, in dem wir mit dem Bildungsziel Democratic Citizenship Motivationen und Kompetenzen befördern wollen, die für gelingende Prozesse gesellschaftlicher Politikfähigkeit gebraucht werden.
Attraktive Erträge einer impulsreichen Diskussion[3]
Wieder einmal zeitigte unsere Veranstaltung in kurzer Zeit viele Impulse, die erkenntnisfördernd aufgenommen werden können. Für uns alle im Lebenslangen Lernen. Für Studierende und Alumni auch in Seminaren, die diese Impulse aufnehmen. Von diesem Forum u.a. die folgenden:
Mit diesem kraftvollen Plädoyer für eine rationale, verständigungsorientierte politische Kommunikation in einer freien Gesellschaft fand Professor Schweikard viel Zustimmung, erhellte aber zugleich auch eine große Herausforderung, weil die Wirklichkeit zu oft eine andere ist.
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Erstmals wurde bei einem Forum nicht schon das nächste angekündigt. Geplant und vorbereitet ist es mit dem Seminarangebot für Q 3. „Wie finden wissenschaftliche Expertise und politisches Entscheiden zusammen? Wissen und Macht – Expertentum und Parteienwesen“ lautet der Arbeitstitel. Als Referent wurde Prof. Dr. Günther Bachmann gewonnen. Wenn es stattfindet, sind Informationen auf der Website der NORDAKADEMIE zu Veranstaltungen im September zu finden.
[1] Neben der Wissensvermittlung und der Förderung der Beschäftigungsfähigkeit sowie der Persönlichkeitsentwicklung.
[2] Wer mag, findet zu diesem Zusammenhang mehr in meiner ersten NORDAKADEMIE-Publikation: Reinhard Ueberhorst, Gesellschaftliche Politikfähigkeit und diskursive Politik – Ziel und Entwicklungsaufgaben. In: Georg Plate (Hrsg.): Forschung für die Wirtschaft. Shaker, Aachen, 2011, S. 173–194, ISBN 978-3-8440-0684-1. In dieser und folgenden Fußnoten gebe ich Literaturhinweise für diejenigen, die angesprochenen Themen vertiefend nachgehen wollen.
[3] Kritische Nachfragen und Kommentare gab es nicht nur in der Diskussion nach dem Vortrag, sondern auch in Kommentaren und Nachbetrachtungen, die mich nach dem Forum erreichten. Letzteres diesmal mehr als sonst, was darauf zurückzuführen ist, dass die online Teilnehmenden sich bedauerlicherweise während des Forums aus noch nicht geklärten technischen Gründen nicht zu Wort melden konnten.
[4] Zu finden in Siep, Ludwig: Vertragstheorie – Ermächtigung und Kritik von Herrschaft? In (Bermbach, U.; Kodalle, K.-M.; Hrsg.): Furcht und Freiheit. Leviathan – Diskussion 300 Jahre nach Thomas Hobbes, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 1982, S. 129-145. Die Siepsche Kritik an Rawls diskutiere ich im Hinblick auf das Leitbild Gesellschaftliche Politikfähigkeit in dem Aufsatz Brauchen wir einen Neuen Gesellschaftsvertrag für unsere gesellschaftliche Politikfähigkeit? In: Georg Plate (Hrsg.): Forschung für die Wirtschaft 2012. Cuvillier, Göttingen 2012, S. 287–314, ISBN 978-3-95404296-8
[5] Vergl. dazu Reinhard Ueberhorst, Gefragt sei nach den Gütekriterien für Themen der politischen Willensbildung in einer „guten Welt“. In: Andreas Vieth, Christoph Halbig, Angela Kallhoff (Hrsg.): Ethik und die Möglichkeit einer guten Welt. Gruyter, Berlin, S. 213–226. Zum Themenentwicklung vergl. auch meine fünfte NORDAKADEMIE-Publikation „Grosse gesellschaftliche Herausforderungen“ und das aktuelle Anregungspotenzial philosophischer Werke aus früheren Zeiten im Studium generale. In: Präsidium der Nordakademie – Hochschule der Wirtschaft (Hrsg.): Nordblick – Forschung an der Nordakademie. Heft 4/2017. Elmshorn. S. 78–94.
[6] https://bbc.com/news/articles/cnd607ekl99o
[7] Vergl. S.9 der Vortragsfolien
[8] Einen Versuch, ein Verständnis der Politologie mit einer anzustrebenden normativen Kompetenz dieser Disziplin für einen nicht beliebigen Umgang mit politischer Pluralität zu entwickeln, enthält dieser Text: Reinhard Ueberhorst, Wie beliebig ist der Umgang mit politischen Konflikten im Raum der strategischen Energie- und Umweltpolitik? In: Peter H. Feindt, Thomas Saretzki (Hrsg.): Umwelt- und Technikkonflikte. VS-Verlag, Wiesbaden 2010, S. 54–75