20.09.2024

Nachbericht zum 66. Forum Politik und Wirtschaft mit dem Umwelt- und Nachhaltigkeitsexperten Dr. Günther Bachmann

Thema: Wissen und Macht - Expertentum und Parteienwesen

Reinhard Ueberhorst

 

Berichtende Nachbetrachtung zum 66. Forum Politik und Wirtschaft mit dem Umwelt- und Nachhaltigkeitsexperten Dr. Günther Bachmann zum Thema 

 

Wissen und Macht - Expertentum und Parteienwesen 

 

 

Unser Erkenntnisinteresse

 

Wie finden wir in der Gestaltung demokratischer politischer Prozesse die richtige Beziehung zwischen „Wahrheiten und Mehrheiten“? Diese klassische Frage der politischen Philosophie der Demokratie wirft ein Buch aus diesem Jahr auf, das der Referent auf diesem Forum Politik und Wirtschaft mehrfach ansprach und dessen Autor er wegen seiner Arbeit als Vorsitzender politisch bedeutsamer Kommissionen auch mehrfach lobend herausstellte. Auf die Kommissionsarbeit komme ich später zurück. Hier geht es um das Buch, mit dem einleitend gut aufgezeigt werden kann, warum wir dieses Thema mit diesem Referenten für diese spezielle Veranstaltungsform der Foren Politik und Wirtschaft im Studium generale der NORDAKADEMIE angestrebt haben.

 

Auf die im ersten Satz formulierte Frage gibt es keine weithin geteilte Antwort. Es gibt unterschiedliche, strittige Antworten, es gibt Konflikte. Diese Konflikte sollten mit diesem Forum erkundet und aufgabenorientiert reflektiert werden. Im Umgang mit Konflikten sollen sich demokratische Prozesse bewähren. In gelingenden demokratischen Prozessen manifestiert sich für uns die Überlegenheit demokratischer gegenüber autoritären Systemen. Um diese Überzeugung argumentativ entwickeln zu können, müssen wir freilich wissen, wie wir demokratische politische Prozesse gestaltet sehen wollen, um ihrer Überlegenheit gegenüber autoritären Systemen sicher zu sein. Auch im Umgang mit wissenschaftlichem Wissen in politischen Prozessen muss die demokratische Gesellschaft der Freien und Gleichen erfahrbar werden.

 

Der Autor des von unserem Referenten herausgestellten Buchs hatte diesem den Untertitel „Kritik des autoritären Szientismus“ gegeben.[1] Als Literaturwissenschaftler wohl wissend, dass er hier das Adjektiv benutzte, mit dem wir „autoritäre Systeme“ erfassen. Mit dem „autoritären Szientismus“ kritisiert er keinen abstrakten Ismus in der Welt der Science, sondern konkrete Akteure und Fürsprecherinnen eines Denkens, welches die Offenheit politischer Prozesse durch nicht legitimierte Vorgaben von Wissenschaftlern begrenzt sehen möchte. Für dieses Denken hat er den Ausdruck „autoritären Szientismus“ kreiert. Das klingt nicht nur kritisch und polemisch, es ist von ihm auch so gemeint. Wir sind gut beraten, es ernst zu nehmen. Schließlich war der Verfasser Peter Strohschneider über viele Jahre Vorsitzender des Wissenschaftsrats und auch Präsident der Deutschen Forschungs-gemeinschaft (DFG), der zentralen Selbstverwaltungsorganisation der Wissenschaft in Deutschland.

 

Dieser Autor kennt den Umgang mit Wissen in politischen Prozessen und hat ein Auge für besorgniserregende Entwicklungen, für nicht angegangene Herausforderungen und für besser nutzbare Chancen. Für Kenner der Thematik war es nicht überraschend, dass unser Referent sich mehrfach auf Professor Strohschneider bezog.[2] Auch Dr. Bachmann ist praxiserfahren im Raum Wissenschaft und Politik. Der Umwelt- und Nachhaltigkeitsexperte war u.a. im Umweltbundesamt und über lange Zeit als Generalsekretär des Rates für Nachhaltigkeit der Bundesregierung tätig. Thematisch einschlägig sind auch seine Erfahrungen als Sekretär der Ethikkommission für eine sichere Energieversorgung, die im März 2011 von Bundeskanzlerin Angela Merkel eingesetzt worden war, um nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima technische und ethische Aspekte der Kernenergie zu prüfen, einen gesellschaftlichen Konsens zum Atomausstieg vorzubereiten und Vorschläge für den Übergang zu erneuerbaren Energien zu erarbeiten. Wegen dieser reichhaltigen Erfahrungen hatten wir ihn als Referenten gewinnen wollen. Für unser 66. Forum Politik und Wirtschaft in der NORDAKADEMIE zum Thema „Wissen und Macht – Expertentum und Parteienwesen“.

 

II: Der Vortrag – klar gegliedert in drei Teile, aber …

Seinen Vortrag gliedert Dr. Bachmann in drei Teile:

 

  1. Das Problem
  2. Ursachen des Problems
  3. Lösungen

 

Nachdem er diese Gliederung vorgestellt hatte, schickte der Referent seinem Vortrag eine Charakterisierung voraus. Mit einem klug gewählten Begriff. Sein Vortrag sei ein „Reflexionsvortrag“. Sehr bewusst baute er damit dem mit der Gliederung möglichen Eindruck vor, als wegweisender Referent eine fertige, in sich geschlossene, umsetzbare Botschaft zu einem vorher von ihm klar definierten und erklärten Problem präsentieren zu wollen. Sein Anspruch war bescheidener, war weniger-ist-mehr-geprägt und eben damit sehr nah an der Thematik der Lern- und Verständigungsprozesse, die er als Herausforderung im Feld „Wissen und Macht“ vermitteln wollte. Mit Überlegungen, mit empiriebezogenen Reflexionen.

 

Der Referent sprach frei. Wer ihn sah und hörte, konnte ihm beim Nachdenken zuschauen.[3] Passend zum freien Sprechen waren auch seine gezeigten Folien. Diese waren auffallend arm an schriftlichen Inhalten. Gezeigt wurden überwiegend Bilder, textlose Bilder, die helfen sollten, dem Reflexionsvortrag mitdenkend zu folgen.

 

Gleich mit der ersten Folie zeigte er ein Bild von zwei Wissenschaftlern ohne Angabe der Namen. Nur wenige dürften diese auf den ersten Blick erkannt haben. Gezeigt wurden Galileo Galilei und Alfred Wegener. Für den Referenten zwei Beispiele für große Wissenschaftler, deren Wissen von den Machthabern in ihrer Zeit nicht geglaubt wurde.

Der Referent wollte sein Thema „Wissen und Macht“ als ein Spannungsverhältnis vorstellen, das es schon immer gegeben habe. Galileo Galilei und seine Geschichte des „sie dreht sich doch“ sei das bekannteste Beispiel. Hier stand, so Bachmann, „Wissen gegen die staatliche Macht“. Weniger bekannt, aber genauso aussagekräftig sei die Entdeckung der Kontinentaldrift durch Alfred Wegener. Sein Wissen stand lange Zeit gegen die Macht des wissenschaftlichen Mainstreams, der die Wegenerschen Thesen nicht wahrhaben wollte. Es ging nicht gegen die staatliche Macht. „Unite behind the Science“ war genau das, was Alfred Wegener nicht tat. Er warf, so Bachmann, „den bisherigen wissenschaftlichen Konsens über den Haufen“.

 

Wissenschaft, so Bachmann, ringe immer mit der Macht und mit sich selbst. Das tue sie auch heute. Ohne Wissenschaft gehe heute nichts mehr und ohne Politik schon gar nichts. Die Menge politisch nutzbaren Wissens werde in einer Wissensgesellschaft immer größer. Beste Bedingungen, so könnte man meinen, für ein positives, ein gedeihliches, ein fruchtvolles Zusammenwirken von Wissen und Macht, von Experten und Entscheidern. Das sei aber nicht der Fall. Erfassen und problematisieren wollte der Referent ein „strukturelles Problem, das wir angehen müssen“. „Wir tun nicht, was wir wissen“, so Bachmann. Dieses „Paradox“ sei heute „größer denn je“. Nicht nur beim Klima, auch beim Schutz der Artenvielfalt und in weiteren Bereichen täten wir nicht, was wir wissen.

Mit diesem Problemaufriss konturierte der Referent die Problematik, die er mit ausgewählten Exkursen weiter genauer beschrieb. Ausführungen zum Problem und seinen Ursachen gingen so ineinander über.

 

  • Er skizzierte unterschiedliche Empörungen verschiedener Akteursgruppen, die sich damit den Weg zu ihrer Kooperation erschwerten, wenn nicht verbauten. Wissenschaftler:innen empörten sich, weil sie Wissen bereitstellten, das nicht genutzt werde. Politiker:innen empörten sich, weil nicht anerkannt werde, dass nicht mehr ginge, als das, was sie täten. Diese Empörungen finden nicht zusammen.

  • Die Willensbildung in der Gesellschaft sei unklar, sie erfolge nicht mehr nachvollziehbar über politische Parteien.

Bilder, Zitate und Plakate von Schelsky, Töpfer und dem braven Soldaten Švejk unterstützten weitere wichtige Botschaften und Befunde zum Verständnis des Problems.

 

  • Der Soziologe Schelsky wurde mit dem Zitat „am besten gleich die Experten ranlassen“ (1966) als Repräsentant eines expertokratischen Denkens eingeführt, das Strohschneider mit seiner Polemik gegen einen „autoritären Szientismus“ attackiert. Ob auch die Friday for Future-Parole „Follow the Science!“, wie Strohschneider es tut, diesem „autoritären Szientismus“ zuzurechnen wäre, wollte Bachmann offenlassen. Wohl aber gelte das für professorale Gutachten. Der Referent verwies auf den Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU), ein Beratungsgremium des Umweltministeriums. Der schlage seit Jahren eine neue Verfassungsinstanz mit Expertisefunktion vor, weil aus seiner Sicht Regierung und Parlament für die ökologische Transformation zu schwach seien. Deshalb sollte im Grundgesetz ein „Rat für Generationengerechtigkeit“ verankert werden. Bundestag und Bundesrat sollten die Mitglieder (Sachverständige aus den Bereichen nachhaltiger Umwelt-, Sozial- und Wirtschaftspolitik) auf zwölf Jahre wählen. Diese sollten zugleich Parlament und Regierung beraten und in Gesetzgebungsvorhaben ein aufschiebendes Vetorecht erhalten. Der SRU sieht keine Probleme im Hinblick auf Gewaltenteilung und Demokratieprinzip.[4]
  • Der Politiker Klaus Töpfer wurde positiv mit seiner Ablehnung eines Schwarz-Weiß-Denkens, mit seinem Verständnis für eine gebotene Orientierung an Alternativen und dem Befund der vielfachen, verbundenen Krisen reflektiert; die aktuelle Krise sei eine „Polykrise“.

  • Ein falsches Verständnis der großen Krisen unserer Zeit illustrierte der Referent mit dem Bild des braven Soldaten Švejk und dessen Ausspruch „Nach dem Krieg um halb sechs im Kelch“, mit dem sich dieser für die Zeit nach dem Krieg wie gewohnt zur selben Zeit in derselben Stammkneipe verabreden wollte. Dies stehe sinnbildlich für ein auch heute verbreitetes Krisenverständnis, mit dem nach der Krise alles wieder so sei wie vorher. Dies sei eine falsche Vorstellung zu den Nachhaltigkeitskrisen.

Lösungen?

Im dritten Teil seines Vortrags reflektierte Dr. Bachmann sechs „Lösungen“. Allein aus Zeitgründen sehr kurz. Er präsentierte eine Liste von Modellen. Keines dieser Modelle wurde als Lösung für das große Problem angesprochen, auch die Liste der sechs war nicht mehr als eine unvollständige Aufzählung verschiedener institutioneller und methodischer Modelle, die dem Referenten erwähnenswert erschienen. Wer an anderes dachte, konnte das vermissen und die Liste ergänzen.

 

  1. Themenbezogene Kommissionsarbeit. Hier ging er auf die von Peter Strohschneider geleitete Zukunftskommission Landwirtschaft ein, die aus seiner Sicht sehr erfolgreich gearbeitet hätte, insbesondere im Aufzeigen von konsensfähigen Perspektiven. Die großen Protestaktionen von Landwirten in jüngster Zeit sah Dr. Bachmann nicht als Gegenargument, diese seien darauf zurückzuführen, dass die Bundesregierung den Empfehlungen der Strohschneider-Kommission nicht gefolgt sei.
  2. Denkschulen (think tanks)
  3. „Modell 1988“. Mit diesem Kürzel bezeichnete der Referent den Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), eine für ihn sehr klug arbeitende große Einrichtung, die 1988 vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) als zwischenstaatliche Institution gebildet wurde, um für politische Entscheidungsträger den Stand der wissenschaftlichen Forschung zum Klimawandel zusammenzufassen und damit Grundlagen für wissenschaftsbasierte Entscheidungen zu bieten.
  4. Repräsentanz: Bürgerräte, Stakeholder. Das Modell einer vierten Gewalt, 2018 dargestellt im Buch „Die Konsultative. Mehr Demokratie durch Bürgerbeteiligung“ von Patrizia Nanz und Claus Leggewie.
  5. Parlamentarische Enquête-Kommissionen.
  6. Wissenschafts-Politik

 

III: Diskussion

Das gemeinsame Oberthema aller Beiträge in der Diskussion, auch der nach dem Forum telefonisch oder per Mail schriftlich fortgesetzten, war eine profunde Sorge um die Qualität der demokratischen Willensbildung in unserem Lande. Im Ziel und in der Wahrnehmung der Schlüsselaufgabe, deren Qualität zu verbessern, waren sich alle einig. Sehr unterschiedlich und teilweise auch einander widersprechend waren die vorgeschlagenen Ansätze und Prioritäten. Das ist im Sinnverständnis der Foren ein guter, anregender Ertrag. Es kann ja niemand erwarten, dass wir komplexe, durch Kontroversen geprägte Themen aufrufen und nach zwei Stunden alle mit einer neuen gemeinsamen Sicht nach Hause gehen.

 

Gemeinsame Lern- und Verständigungserfolge sind immer auch angestrebt, aber der größere Ertrag unserer Foren sind regelmäßig Impulse. Ein nützlicher Ertrag sind diese Impulse allerdings nur, wenn mit ihnen gearbeitet wird. Studierende und Alumni können dies im Seminar Politik und Wirtschaft – Basiswissen und -kompetenzen. Andere finden ihren Ort zum Arbeiten mit diesen Impulsen anderswo.

 

Die Diskussion hatte drei Kristallisationsthemen: Politische Parteien – Stärkere Bürgerbeteiligung/Mehr Plebiszite – kritische Anfragen an die Wissenschaft/Entwicklungsaufgaben für eine demokratische gesellschaftliche Politikfähigkeit in der Wissensgesellschaft.

 

  • Parteien müssten schlicht mehr Kompetenzen für aufgabenorientierte Prozesse politischer Willensbildung entwickeln. Die in der Verfassung postulierte Mitwirkung der Parteien an der politischen Willensbildung des Volkes sei derzeit eine doppelte Fiktion.
  • Ein anderer Teilnehmer hatte die Einlassungen zu Partien als unangebrachte „Parteienschelte“ wahrgenommen. Zugleich plädierte er für ein Verbot der AfD.
  • Als sehr bedenkenswert zur Verbesserung der demokratischen Willensbildung wurden neu entwickelte Plebiszite angesprochen. Hingewiesen wurde auf das einschlägige, sehr differenzierend argumentierende Buch der Rechtswissenschaftlerin und ehemaligen Richterin des Bundesverfassungsgerichts Gertrude Lübbe-Wolff. Titel: Muss man die direkte Demokratie fürchten?
  • Eine andere Teilnehmerin warb für mehr politische Bildung, mehr „Demokratiebildung“. Auch in den Schulen.
  • Kritisch angesprochen wurden auch Medien, die zu viel Politik machten, statt demokratische Prozesse durch Information und Debatten zu befördern.
  • Das größte Fass öffnete ein Alumnus der NORDAKADEMIE, der über Jahre kontinuierlich am Seminar Politik und Wirtschaft teilgenommen hat, auch nach seinem Masterstudium Philosophie und Politik in München. Er wollte wissen, wie die Wissenschaften komplexe Themen für die politische Willensbildung besser aufbereiten könnten. Insbesondere (so formulierte er mit Alvin Weinberg, ohne ihn zu zitieren) die Themen und Fragen, die nur durch Wissenschaftler entdeckt und formuliert werden, nicht aber durch sie beantwortet werden könnten. Weinbergs transcientific, sprich transwissenschaftliche Fragen. [5]

Dr. Bachmann versuchte nicht den Eindruck zu erwecken, die Fragen, insbesondere die letzte, ad hoc umfassend beantworten zu können. Zur „Demokratiebildung“ konnte er auf Pioniere im Landkreis Saarlouis verweisen. Zur letzten Frage verwies er auf Angebote der Leopoldina und transdisziplinäre Arbeiten. Er ließ aber Raum für weiterführende Überlegungen und betonte deren Bedarf.

 

Der Moderator verwies auf den Unterschied zwischen transdiziplinären und transwissenschaftlichen Arbeits-Ansätzen. Letztere führten mit Weinbergs Verständnis einer „neuen Rolle“ für Wissenschaftler zur Entwicklungsaufgabe einer neuen Kooperationskultur wissenschaftlicher und politischer Akteure. Orientiert an gebotenen Vorarbeiten für eine aufgeklärte politische Willensbildung in sechs Räumen, die von den Wissenschaftlern zu erwarten wären.[6]

 

Die mit Weinbergs Begrifflichkeit eingeführte Frage beruhte auf Arbeiten im Seminar Politik und Wirtschaft – Basiswissen und -kompetenzen. Dort haben wir uns über Jahre intensiv mit der Frage beschäftigt, wie die Wissenschaften komplexe Themen für die politische Willensbildung besser aufbereiten können. Unter anderem mit einer Kritik von Shoshana Zuboffs Buch „Surveillance Capitalism“, in dem eine Aufbereitung kontroverser Ethiken und alternativer Gestaltungsoptionen für das Internet für Prozesse der politischen Willensbildung fehlen, was damit aber sehr gut als Bedarf herausgearbeitet werden konnte.

 

IV: Was hat uns dieses Forum gebracht?

Mit über 60 Anmeldungen können wir mit der Resonanz auf das angekündigte Forum zufrieden sein. Weniger mit der diesmal zu geringen Anzahl teilnehmender Studierender. Vielleicht lag es an einem für sie ungünstigen Termin. Sicher sollten wir versuchen, den Studierenden besser zu vermitteln, warum diese Foren für sie spannend, lehrreich und nützlich sind, auch wenn sie nur für diejenigen einen CP-Ertrag bringen, die gleichzeitig an dem Seminar teilnehmen, in dem es vorab besprochen und nachbereitet wird; dem Seminar Politik und Wirtschaft – Basiswissen und -kompetenzen.

 

Der Referent war zufrieden. Wir werden ihn wiedersehen, auch als Gesprächspartner in zukünftigen Seminaren. Im Rückblick auf dieses Forum stellte er fest: Das Unbehagen, ob die gesellschaftliche Willensbildung in der heutigen Zeit aus den Fugen gerät, stand zu Recht im Vordergrund der Diskussion. Es unterstreicht, dass zum Thema des Vortrages noch längst nicht alle Facetten und noch nicht alles in der notwendigen Tiefe durchdrungen ist. Gerade wenn wir, so ist meine Schlussfolgerung, an der Demokratie festhalten wollen, müssen wir sie vertiefen und die Institutionen im Spannungsfeld Wissen und Macht ertüchtigen und stärken.

 

Da waren und sind wir uns einig. Die durch das Forum gewonnenen Einsichten und Impulse sind besonders wichtig für diejenigen, die das Bildungsziel einer „education for democratic citizenship“ sehr ernst nehmen.[7] Mit ihm haben Hochschulen die Aufgabe, Studierende zu befähigen, sich kompetent in demokratische Prozesse in unserer demokratischen Gesellschaft einbringen zu können. Damit geht es um mehr als um eine Teilnahme an Wahlen. Es geht um das Ganze der Prozesse, in denen demokratische gesellschaftliche Politikfähigkeit erfahrbar werden soll – gerade auch im Umgang mit wissenschaftlichem Wissen. Wenn es Konflikte und Alternativen zur Demokratiegestaltung gibt, muss sich unsere Demokratie auch im Umgang mit diesen Herausforderungen bewähren.

Durch das Forum ist uns bewusst geworden: Konflikte und Alternativen zur Demokratiegestaltung erwachsen seit Jahrzehnten auch aus sehr unterschiedlichen Verständnissen darüber, wie wissenschaftliches Wissen für demokratische politische Beratungs- und Entscheidungsprozesse aufbereitet werden und in ihnen genutzt werden, oder diese wegweisend orientieren sollte.

 

Das Bildungsziel „Democratic Citizenship“ ist gut begründet, damit aber noch nicht leicht umsetzbar. Verantwortungsorientierte Bildungspolitiker:innen und Hochschulleitungen fragen sich, wie gut wir für dieses Bildungsziel derzeit aufgestellt sind, wie gut wir es umsetzen und welche Herausforderungen damit verbunden sind.

Das Ziel, sich in demokratische Prozesse in unserer Gesellschaft einbringen zu können, wird zur Herausforderung, wenn die Anlage und Gestaltung dieser Prozesse selbst strittig sind, wenn wir nicht von einem weithin geteilten Verständnis einer guten, aufgabengerechten Gestaltung dieser Prozesse ausgehen können, weil kontroverse Vorstellungen über eine richtige Verbindung von Wissenschaft und Politik dem entgegenstehen. Die orientierenden Prinzipien der Anlage solcher Prozesse werden dann selbst zu einer politischen Verständigungsaufgabe. Das ist ein vertracktes Problem. Es erfolgversprechend angehen zu können, setzt die orientierenden Prinzipien voraus, die mit seiner Bearbeitung gefunden werden sollen. Die Schwierigkeit ist deutlich und erklärt die Zurückhaltung vieler, sich dieser Aufgabe zuzuwenden. In der Folge kommt es zu versäumten rechtzeitigen Innovationen in politischen Arbeitsformen, die wir in unserer Zeit immer auch als Kooperation wissenschaftlicher und politischer Akteure zu verstehen und zu befördern haben.[8]

 

Die Präsentationsfolien des Redners Dr. Günther Bachmann können unter folgendem Link angeschaut werden:  Folien Günther Bachmann - 66. Forum Politik und Wirtschaft 

                                                                            

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[1] Peter Strohschneider, Wahrheiten und Mehrheiten. Kritik des autoritären Szientismus, München 2024

[2] Auch ich habe mich in einer NORDAKADEMIE-Publikation schon einmal auf Strohschneider bezogen. Auf der Seite 82, Fußnote 7 in dieser Ausgabe der Zeitschrift Nordblick

[3] Leider war, wie mir online-Teilnehmende mitgeteilt haben, die Akustik der Übertragung höchst unbefriedigend. Daran müssen wir arbeiten. Einer der Betroffenen war Dr. Volker Hauff, der als Referent des 1. und des 50. Forums wesentlich zur Profilierung dieser Veranstaltungsreihe beigetragen und an zahlreichen Foren teilgenommen hat. Er konnte sich diesmal nicht an der Diskussion beteiligen, weil er sich nach dem lückenhaft Gehörten nicht hinreichend präzise auf vorher Gesagtes beziehen zu können glaubte.

[4] Sachverständigenrat für Umweltfragen (2019) Demokratisch regieren in ökologischen Grenzen - Zur Legitimation von Umweltpolitik, https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/02_Sondergutachten/2016_2020/2019_06_SG_Legitimation_von_Umweltpolitik_KF.pdf?__blob=publicationFile&v=2 , Seite 13. Hingewiesen werden kann auch auf ähnliche Gedanken des Wissenschaftlichen Beirates für globale Umweltfragen (WBGU) und dessen Hauptgutachten des Jahres 2011 „Welt im Wandel: Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“ https://www.wbgu.de/de/service/presseerklaerung/gesellschaftsvertrag-fuer-eine-grosse-transformation Der WBGU fordert für unser politisches System eine zweite Wissenschaftler-Kammer, die in Zukunftsfragen gegenüber dem Bundestag ein Vetorecht haben sollte. Kritisch dazu R. Ueberhorst, Brauchen wir einen Neuen Gesellschaftsvertrag für unsere gesellschaftliche Politikfähigkeit? In: Georg Plate (Hrsg.): Forschung für die Wirtschaft 2012. Cuvillier, Göttingen 2012, S. 287–3

[5] Alvin Weinberg, Science and Trans-Science, in Minerva 10(2): 209-222 (19740

[6] Zum Verständnis dieser sechs Räume im Kontext einer angestrebten aufgeklärten politischen Willensbildung vergl. die Abschnitte „Studium generale heute. Wozu?“ und „Große gesellschaftliche Herausforderungen im Aufmerksamkeitsfeld des Studium generale” in dem in der Fußnote 2 angeführten Aufsatz.

[7] “Education for democratic citizenship” means education, training, awareness-raising, information, practices and activities which aim, by equipping learners with knowledge, skills and understanding and developing their attitudes and behaviour, to empower them to exercise and defend their democratic rights and responsibilities in society, to value diversity and to play an active part in democratic life, with a view to the promotion and protection of democracy and the rule of law.”, so heist es in der Council of Europe Charter on Education for Democratic Citizenship and Human Rights Education. https://search.coe.int/cm#{%22CoEIdentifier%22:[%2209000016805cf01f%22],%22sort%22:[%22CoEValidationDate%20Descending%22]}

[8] Ausführlicher dargestellt in Tom R. Burns, Reinhard Ueberhorst, Creative Democracy. Systematic Conflict Resolution and Policymaking in a World of High Science and Technology. Vorwort von Willy Brandt, Praeger, New York/Westport, Connecticut/London, 1988

 

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