Herr Bergmann, stellen Sie sich bitte mit eigenen Worten kurz vor.
Ich bin wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand an der Technischen Universität Hamburg, am Institut für Technologie- und Innovationsmanagement. In meiner Forschung befasse ich mich mit frugalen Innovationen, insbesondere mit der Kundenakzeptanz dieser in Industrienationen. Parallel dazu bin ich seit Oktober 2020 Dozent an der NORDAKADEMIE, im Modul Innovations- und Technologiemanagement. Studiert habe ich Produktionsmanagement, sowohl im Bachelor an der HAW Hamburg als auch im Master an der TUHH, in Form eines dualen Studiums, in Kooperation mit der LESER GmbH & Co. KG. Darüber hinaus bin ich Ehemann und Vater von zwei Söhnen.
Sie unterrichten an der NORDAKADEMIE Innovations- und Technologiemanagement. Wie halten Sie sich auf dem Laufenden und kommen den neuesten Trends auf die Spur?
Durch meine Arbeit und aus persönlichem Interesse lese ich wissenschaftliche Veröffentlichungen auf dem Gebiet des Innovations- und Technologiemanagements und bekomme stetig Einblick in den aktuellen Stand der Forschung. Durch die Einbindung von Praxispartnern in die Lehre und durch Beratungsprojekte bekomme ich zusätzlich eine Idee davon, welche Themen die Praxis bewegen. Zudem lese ich relevante Fachbücher und besuche Fachtagungen und Konferenzen.
Welches Mindset und welche Kernkompetenzen sollten sich Studierende zulegen, wenn sie in diesem Bereich tätig werden wollen?
Studierende sollten die Fähigkeit haben, die vielschichtigen Facetten von Innovationen gleichzeitig im Blick zu behalten, um die richtigen Entscheidungen zu treffen. In die Grundlagen von Innovationstools, wie u. a. Design Thinking oder die Lead User Methode, kann man sich zwar einlesen, es braucht allerdings Vorlesungen, (Online-)Seminare oder Workshops, um die Anwendung zu erlernen und damit relevante Methodenkompetenzen zu erlangen. Diese Methoden schaffen einen Rahmen und damit zu einem gewissen Grad Kontrolle über das Ergebnis, indem sie Kreativität fördern, doch kann diese letztendlich nicht erzwungen werden. Es braucht immer auch eine gewisse Flexibilität im Innovationsmanagement und damit von Innovationsmanagern in ihrem Arbeitsalltag.
Welche Bücher und Inspirationsquellen halten Sie für die Bereiche Innovations- und Technologiemanagement für essentiell?
Gute Grundlagenliteratur ist das Buch „Managing Innovation: Integrating technological, market and organizational change“ von Joe Tidd und John Bessant. Im deutschsprachigen Raum ist „Innovationsmanagement“ von Jürgen Hausschildt, Sören Salomo, Carsten Schultz und Alexander Kock empfehlenswert. Um eine neue Perspektive einnehmen zu können, ist das Buch „Rocking the ship – Turning corporate managers into business model mavericks“ von Uli Grothe und Mat Lock sehr geeignet. Hierbei geht es u. a. um die Entwicklung eines Nightmare Competitors. Der Nightmare Competitor ist ein konstruierter Konkurrent, der in der Realität (noch) nicht existiert, sich jedoch bestmöglich mit der Zukunft arrangiert hat und das Unternehmen nach anderen Regeln führt. Hierdurch wäre das Wachstum des eigenen Unternehmens behindert und seine Existenz gefährdet. Die Autoren präsentieren sehr interessante Handlungsempfehlungen im Umgang mit diesem imaginären Wettbewerber, die sehr inspirierend sind für reale Unternehmen und ihr Innovationsmanagement.
Was sind aus Ihrer Sicht aktuell die wichtigsten Fragen und Themen, mit denen sich Unternehmen auseinandersetzen sollten?
Die wichtigste Frage eines Unternehmens ist die nach dem Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit, die immer auch von sich ändernden Entwicklungen in der Unternehmensumwelt beeinflusst wird. Aktuell rücken Fragen nach ethischem Verhalten und Nachhaltigkeit im Hinblick auf Lieferketten und Technologien immer mehr in den Fokus der Öffentlichkeit. Ein unethisches Verhalten oder die Nichtberücksichtigung von Nachhaltigkeitsanforderungen seitens eines Unternehmens könnten im Zweifel durch den Vertrauensverlust der Öffentlichkeit zum Misserfolg führen. Zusätzlich geht es für viele KMU um die digitale Transformation des Kerngeschäftes und die Einbindung von Industrie 4.0 Anwendungen in die Produktion und Wartung, z. B. durch Augmented Reality. Weiterhin unerlässlich ist eine kundenzentrierte Produktentwicklung der Unternehmen, die sich nicht nur an dem orientiert, was man über den Kunden zu wissen glaubt, sondern ihn und seine Bedürfnisse aktiv in den Innovationsprozess integriert.
Welchen Tipp würden Sie Unternehmen mit auf den Weg geben, um innovativ zu werden und dann auch zu bleiben?
Unternehmen müssen den Spagat zwischen der Nutzung bestehender und der Erlernung neuer Fähigkeiten meistern. Man spricht hier von zwei verschiedenen Logiken: Exploitation und Exploration. Exploitation verfolgt dabei die strategische Absicht der Kosten- und Profitoptimierung und damit eher einen kurzfristigen Erfolg. Exploration hingegen hat einen klaren Fokus auf Wachstum und Innovation und dient eher dem langfristigen Unternehmenserfolg. Wichtig ist hierbei, weder Exploitation noch Exploration überzubetonen. Eine einseitige Überbetonung könnte zu einer Gefährdung des Unternehmenserfolges führen, wie im Fall Kodak (Exploitation). Diese widersprüchlichen Anforderungen an die Unternehmen gilt es im Sinne der organisationalen Ambidextrie bspw. durch eine temporäre oder räumliche Trennung der beiden Logiken zu meistern.
Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Schritte und Werkzeuge, um ein effektives Ideenmanagement in Unternehmen zu realisieren?
Um ein effektives Ideenmanagement zu realisieren, sollten verschiedene Aspekte beachtet werden. Grundsätzlich mangelt es in Unternehmen nicht an vielen neuartigen Ideen, sondern an deren Realisierung. Daher ist die Begutachtung der Ideen und die finale Durchführung essentiell, um von dem Ideenmanagement zu profitieren. Eine schnelle Begutachtung und ein entsprechendes Feedback an den Ideengeber, ob positiv oder negativ, ist entscheidend, um die Motivation des Mitarbeiters, weiter am Ideenmanagement teilzunehmen, aufrecht zu erhalten. Weiter sollte die Belohnung von erfolgreichen Ideen nicht rein monetärer Natur sein, sondern durch intrinsische Motivationsfaktoren komplementiert werden.
Innovation bedeutet Veränderung. Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang das Change Management?
Die Durchführung eines Innovationsprojektes bedeutet die Einführung von etwas Neuem, z. B. einem Produkt. Ein fiktives Beispiel wäre ein Projekt zur Einführung eines brennstoffzellenbetriebenen Fahrzeugs in einem etablierten, auf Verbrennungsmotoren spezialisierten, Automobilhersteller. Traditionell werden Bemühungen, die einen Wandel erzeugen wollen, kritisch beäugt und stoßen auf Widerstände. Es ist daher unerlässlich, eine klare und attraktive Vision zu formulieren, deren Notwendigkeit jedem Mitarbeiter einleuchtet. Denn ein solches Innovationsprojekt würde auf viele Abteilungen und Mitarbeiter aufgrund der möglichen Kannibalisierung des Bestandsgeschäfts und damit ihrer aktuellen Tätigkeit bedrohend wirken. In diesem fiktiven Beispiel wäre ein sensibles Change Management unerlässlich, um die Vision zu kommunizieren und gleichzeitig langfristig Mitarbeiter von der Notwendigkeit einer Veränderung zu überzeugen und zu befähigen, im Rahmen dieser Vision zu wirken. Die Bedeutung des Change Managements aus diesem Beispiel lässt sich auch auf andere Innovationsprojekte übertragen und damit ist das Change Management zwingend erforderlich, um Innovationen erfolgreich im Unternehmen umzusetzen.
Wie würden Sie einem Laien „Technologie Management“ erklären und worauf kommt es dabei explizit an?
Der Fokus des Technologiemanagements liegt auf der Entwicklung und Aufrechterhaltung der technologischen Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens. Zu diesem Zweck werden Technologieportfolios im Hinblick auf ihre technische Durchführbarkeit und ihr Anwendungspotential hin analysiert und Investments in ihre Entwicklung strategisch allokiert. Es geht also um die (Weiter-) Entwicklung einer Technologie, z. B. 5G, und nicht um deren Anwendung/Verwendung in Form von Produkten oder Dienstleistungen. Die Anwendung/Verwendung ist Aufgabe des Innovationsmanagements.